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Vier Frauen und ein Mord

Vier Frauen und ein Mord

Titel: Vier Frauen und ein Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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woher. Vor Gericht erzählte er eine ganz andere Geschichte. Sehen Sie, an dem Ärmel war auch ein Haar – ein blutbeflecktes Haar, und das Haar war identisch mit Mrs McGintys Haar. Das musste er doch erklären. Er gab dann zu, am Abend zuvor, als er von seinem Spaziergang heimkehrte, in ihrem Zimmer gewesen zu sein. Er sagte, er hätte angeklopft, wäre dann hineingegangen und hätte sie dort tot auf dem Boden liegen gesehen. Um ganz sicher zu sein, hätte er sich gebückt und sie berührt. Und dann habe er den Kopf verloren. Er sei völlig gebrochen in sein Zimmer gelaufen und dort halb ohnmächtig geworden. Denn, sagte er, den Anblick von Blut habe er nie ertragen können. Am Morgen konnte er sich nicht dazu aufraffen zuzugeben, dass er wusste, was geschehen war.«
    »Eine sehr faule Geschichte«, bemerkte Poirot.
    »Ja, wirklich. Und doch, wissen Sie«, meinte Spence nachdenklich, »sie könnte wahr sein. Es ist nicht eine Geschichte, die ein normaler Mensch oder eine Gruppe von Geschworenen glaubt. Aber ich habe solche Leute schon gekannt. Ich meine nicht die Ohnmachtsgeschichte. Ich meine Leute, die plötzlich vor der Notwendigkeit stehen, etwas zu tun und eine Verantwortung zu übernehmen, und die es einfach nicht können. Schüchterne Menschen. Sagen wir, er geht hinein und findet sie. Er weiß, dass er etwas tun sollte – die Polizei holen – zu einem Nachbarn gehen – das Richtige tun, was immer es sein mag. Und er drückt sich. Er denkt: ›Ich brauche gar nichts davon zu wissen. Ich muss ja heute Abend nicht hereingekommen sein. Ich gehe zu Bett, als ob ich gar nicht hier drin gewesen wäre…‹ Dahinter steckt natürlich Angst – die Angst, man werde ihn verdächtigen, dass er etwas damit zu tun hätte. Er meint, er solle sich so lange wie möglich aus allem heraushalten, und schon steckt der Trottel bis zum Hals mittendrin.«
    Spence machte eine kurze Pause.
    »Es hätte wirklich so sein können.«
    »Ja, wirklich«, bestätigte Poirot nachdenklich.
    »Die Kellnerin in dem Cafe in Kilchester, wo er gewöhnlich zu Mittag aß, sagte, dass er sich immer einen Tisch auswählte, wo er auf die Wand oder in eine Ecke blicken und nicht auf die Leute sehen musste. Er war so ein Bursche – einfach ein bisschen verdreht. Aber nicht verdreht genug, um ein Mörder zu sein. Er hatte keinen Verfolgungswahn oder so was.«
    Spence sah Poirot erwartungsvoll an – aber Poirot antwortete nicht, er runzelte bloß die Stirn.
    Eine Zeit lang saßen beide Männer schweigend da.

3
     
    E ndlich regte Poirot sich und seufzte.
    » Eh bien«, sagte er. »Wir haben das Geldmotiv ausgereizt. Gehen wir zu den anderen Theorien über. Hatte Mrs McGinty einen Feind? Hatte sie vor jemandem Angst?«
    »Wir haben keinen Beweis dafür.«
    »Was hatten ihre Nachbarn zu sagen?«
    »Nicht sehr viel. Vielleicht wollten sie der Polizei nichts erzählen, aber ich glaube nicht, dass sie etwas verschwiegen haben. Sie war immer allein, sagten sie. Aber das wurde als ganz natürlich angesehen. Unsere Dörfler, das wissen Sie, Monsieur Poirot, sind nicht besonders freundlich. Mrs McGinty verkehrte oberflächlich mit den Nachbarn, aber sie war mit niemandem wirklich vertraut.«
    »Wie lange hat sie dort gelebt?«
    »So achtzehn oder zwanzig Jahre, glaube ich.«
    »Und die vierzig Jahre davor?«
    »Es gibt kein Geheimnis in ihrem Leben. Ein Bauernmädchen aus Norddevon. Sie und ihr Mann lebten eine Zeit lang in der Nähe von Ilfracombe und übersiedelten dann nach Kilchester. Hatten ein Häuschen auf der anderen Seite von Kilchester, fanden es aber zu feucht und zogen nach Broadhinny. Der Mann soll ein ruhiger, anständiger Mensch gewesen sein, sehr wählerisch – ist nicht oft ins Wirtshaus gegangen. Alles sehr anständig und einwandfrei. Nirgends ein Geheimnis, nirgends etwas zu verbergen.«
    »Und doch ist sie ermordet worden?«
    »Und doch ist sie ermordet worden.«
    »Die Nichte kannte niemanden, der einen Groll gegen die Tante hegte?«
    »Sie sagt, nein.«
    Poirot rieb sich ärgerlich die Nase.
    »Sie verstehen, mein lieber Freund, es wäre so viel einfacher, wenn Mrs McGinty sozusagen nicht Mrs McGinty wäre. Wenn sie eine so genannte ›Geheimnisvolle Frau‹ wäre – eine Frau mit Vergangenheit.«
    »Nun, das war sie aber nicht«, sagte Spence ruhig. »Sie war bloß Mrs McGinty, eine mehr oder weniger ungebildete Frau, die Zimmer vermietete und als Putzfrau arbeitete. Davon gibt’s Tausende in England.«
    »Aber die werden nicht

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