Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
aufsetzen, je nachdem –, zwei Stufen runtergehen oder eine Stufe rauf, den Zug angucken, der hinter der Gegentribüne vorbeifährt, und einen Zauberspruch aus seiner Kindheit aufsagen: » Wenn ich jetzt den Zug angucke, kriegen wir keinen rein. « Aber hier in diesem wattigen Ambiente wirken seine Zaubersprüche nicht. Plötzlich muss er – und das nicht ganz zufällig – an Mauricio denken.
»Was ist mit deinem Freund Mauricio? Kommt er?«
» › Mein ‹ Freund? Deiner etwa nicht?«
Fernando antwortet nicht. Also fügt Ruso hinzu: »Ja, müsste schon da sein. Ich hab ihm vorgeschlagen, gemeinsam herzukommen, aber er wollte nicht.«
Fernando nickt. »Warum wohl?«
Ruso klopft an die Tür.
Ein Kraftprotz von zwei Metern Spannweite und mit dem Gesicht eines Serienmörders lässt sie herein. Sie kommen in einen Saal, in dem sechs Personen um einen langen Tisch sitzen. Alle stehen gleichzeitig auf.
Fernando erkennt Pittilanga – wie immer in seinen Sportklamotten –, Salvatierra – im gleichen Anzug wie beim letzten Mal, offenbar ein Überbleibsel aus seinen glorreichen Zeiten – und Cristo, ihren »Sekretär« – in strengem schwarzem Anzug mit einer schmalen, ebenfalls schwarzen Krawatte. Ruso hat letztlich darauf bestanden, dass er teilnimmt, ein bisschen, falls das Thema Enge Deckung auftaucht, ein bisschen, weil er ihm den Ausgang dieser Soap nicht vorenthalten will, deren bisherige Folgen er alle gesehen hat.
Nachdem sie ihre Freunde begrüßt haben, wenden sie sich den Arabern zu. Es sind drei, wenn man den Bodyguard an der Tür nicht mitrechnet. Sie sind freundlicher und lächeln mehr als die Ukrainer. Na ja, denkt Fernando, als er sich deren mürrische Gesichter und die kalten Blicke in Erinnerung ruft, sonderlich schwer ist das auch wiederum nicht. Salvatierra stellt alle einander vor. Einer der Araber antwortet in holprigem Spanisch. Die anderen beschränken sich darauf, zum Händedruck zu lächeln. Sie nehmen Platz. Ruso zupft Fernando am Arm und flüstert ihm ins Ohr: »Die haben ja genauso große Nasen wie ich, Mann.«
Fernando hat jetzt keinen Nerv für Witzeleien. Der Türwächter rollt ein Tischchen mit Kaffee, Keksen und Sandwichs herein. Er fragt erst gar nicht, wer möchte und wer nicht, sondern serviert einfach. Niemand traut sich abzulehnen. Als er allen eine Tasse Kaffee vor die Nase gestellt und die Tabletts auf dem Tisch platziert hat, schiebt er das Wägelchen wieder weg und nimmt an der Tür Aufstellung.
»Also«, beginnt Salvatierra, nachdem er sich geräuspert hat. »Zunächst möchte ich Sie im Namen von Mario und mir, seinem Agenten, und auch im Namen von Daniel und Fernando, den beiden Bevollmächtigten der Rechteinhaberin Margarita Nuñez de Raguzzi herzlich in Argentinien begrüßen und Ihnen für Ihr Interesse danken, Mario für den Club Al-Shabab verpflichten zu wollen.«
Der spanischsprechende Araber übersetzt, die beiden anderen nicken ernst.
Irgendetwas liegt in der Luft, denkt Fernando. Ihm ist bewusst, dass es ein abgegriffenes Bild ist, aber ihm fällt kein besseres ein: Irgendetwas liegt in der Luft. Etwas Bedrohliches, etwas, das sich hinter den dicken Vorhängen versteckt, den bequemen Sesseln, auf denen sie sitzen. Etwas, das überall und nirgends ist, etwas, das man erst erkennt, wenn es zu spät ist. Independiente scheint alles im Griff zu haben. Und trotzdem. Da ist etwas. Vielleicht nur ein Zittern in der Luft. In solchen Situationen lädt sich alles mit Bedeutung auf. Ein Einwurf auf Höhe der Mittellinie, ein Gebrannte-Erdnüsse-Verkäufer, dessen Päckchenpyramide einstürzt, weil ein Elastikband seines Tabletts reißt, ein alter Mann mit Baskenmütze, der drei Plätze weiter etwas Unverständliches schnaubt. Und plötzlich entsteht aus dem Einwurf ein Gerangel im Mittelfeld, und aus dem Gerangel ein Steilpass, und aus dem Steilpass eine Flanke, und aus der Flanke ein Kopfball, und schon ist die Tragödie da. Dann nimmt das Etwas Formen an und wird zu allem.
Hier liegt was in der Luft, denkt Fernando wieder, während Salvatierra gestikuliert, argumentiert, lächelt, schmeichelt, vorschlägt, ablehnt, rekapituliert, insistiert. Ein hoffnungsloser Fall, dieser Polaco. Andererseits kann Fernando ihm trotz seines offensichtlichen Abstiegs eine gewisse Würde nicht absprechen. Gut geschnittener Anzug, wenn auch ein bisschen altmodisch, ein bisschen zu weit um die Schultern (zu sehr Neunziger, zu sehr falscher Glanz der Menem-Jahre), die Haare straff
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