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Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)

Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)

Titel: Vier Jungs auf einem Foto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Sacheri
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jetzt, wo du dich zum Experten in Sachen Spielertransfer gemausert hast, kann ich ja gehen. Du wirst das Kind schon schaukeln. Sonst gehst du eben wieder zurück in deine Scheißschule, wo du irgendwelchen Holzköpfen beibringst, was Subjekt und Prädikat sind.«
    »Hör auf, Mauricio!«, versucht Ruso ihn zu bremsen. »Du darfst jetzt nicht einfach gehen. Nicht so.«
    »Was glaubst du, wer ich bin? Ein kleiner Junge, der sich von diesem Blödmann zusammenscheißen lässt? Von diesem Idioten, der mit mir schimpft, als wäre er mein Papa? Wir sehen uns Freitag.«
    »Aber wir brauchen dich. Wir müssen das zusammen hinkriegen.« Ruso steht auf, wagt aber nicht, Mauricio aufzuhalten, als der in großen Schritten an ihm vorbeistampft. Erst als seine Hand an der Klinke liegt, dreht Mauricio sich noch einmal um.
    »Ihr braucht mich nicht, Ruso. Frag den da. Der ist sich selbst genug. Der braucht keinen. Auch dich nicht. Du sagst eben zu allem ja und amen, nur deshalb kommt ihr gut miteinander aus. Bis Freitag.«
    Dann geht er und schlägt die Tür hinter sich zu.
    50
    »Ich hasse diese Aufzüge. Da komme ich mir immer vor wie in einem Aluminiumsarg und kriege … Wie heißt das noch?«
    »Klaustrophobie«, erklärt Fernando.
    »Genau. Klaustrophobie.«
    Sie schweigen, schauen zu, wie die Nummern der Stockwerke aufleuchten.
    »Hör mal, Fer.«
    »Was, Ruso?«
    »Ich hab über die Sache mit den Arabern nachgedacht.«
    »Und?« Fernando steckt sich einen Finger in den Hemdkragen – der drückt zwar nicht, aber immer wenn er eine Krawatte trägt, fühlt er sich so unwohl, dass er am Kragen rumfummelt.
    »Reiten wir uns da nicht in was rein?«
    »Wo rein?«
    »Was weiß ich. Das sind doch Moslems …«
    »Na und? Was dagegen?«
    »Nein, eigentlich nicht. Aber könnte doch sein … Ich meine … diese ganzen Attentate, Bin Laden und so.«
    Fernando sieht ihn an. Erkennt, dass Ruso es ernst meint. Und dass die pinkfarbene Krawatte im weißen Deckenlicht des Fahrstuhls glänzt.
    »Mach dir keine Gedanken, Ruso. Es gibt Millionen Moslems, die völlig harmlos sind.«
    »Sicher? Ich will nicht der russischen Mafia entkommen sein, nur um von islamischen Fundamentalisten massakriert zu werden.«
    Fernando legt eine kurze Bedenkpause ein.
    »Na ja«, sagt er schließlich. »Wenn ich mir deinen Zinken anschaue, bin ich mir doch nicht mehr so sicher.«
    Ruso fasst sich an die Nase. »Wieso? Was ist mit meiner Nase?«, fragt er nervös.
    »Bist du sephardischer oder aschkenasischer Jude?«
    »Äh, ich weiß nicht. Aschkenasisch, glaub ich. Wieso? Ist das ein Problem?«
    »Gott sei Dank.«
    »Warum? Was wäre so schlimm, wenn ich Sepharde wäre?«
    Fernando verzieht skeptisch das Gesicht. Aber als er sieht, dass Ruso sich tatsächlich Sorgen macht, hat er Mitleid mit ihm und sagt: »Was weiß denn ich!«
    »Ich frag dich ganz im Ernst.«
    »Und ich antworte dir ganz im Ernst: keine Ahnung.«
    Es bimmelt mehrmals, als der Fahrstuhl anhält. Fernando spürt seine Eingeweide, die länger als der Fahrstuhl brauchen, um die Fahrt abzubremsen. Sie werden auf Höhe des Zwerchfells zusammengedrückt, so dass ihm fast schlecht wird. Dann öffnen sich die Türen: ein mit Teppich ausgelegter Flur, Bilder an den Wänden, auf Hochglanz polierter Messing, elegante Stille. Wenn es doch nur schon vorbei wäre.
    »Weißt du, wie man sich richtig begrüßt?«, fragt Ruso, während sie den Flur entlanggehen und nach der Nummer suchen, die man ihnen genannt hat.
    »Du verneigst dich einfach. Aber pass auf, dass du nicht zu sehr im Profil zu sehen bist. Wegen deines Zinkens«, witzelt Fernando, aber tatsächlich spürt er einen zunehmenden Druck auf der Brust, fühlt Panik in sich aufsteigen. Als sie um die Ecke biegen, kommt er sich plötzlich vor wie eine Labormaus, die durch ein Labyrinth irrt. Kurz darauf meldet sich ein noch tieferer Instinkt: wie im Stadion, wenn eine innere Stimme ihm ins Ohr flüstert, dass Independiente sich gleich ein Tor einfängt.
    »He, ich hab dich was gefragt«, beschwert sich Ruso.
    »Was?«
    »Ob es tatsächlich ein Problem sein könnte, dass ich Jude bin.«
    Fernando bleibt kurz stehen. »Nein, keine Angst.«
    »Musst du mich ausgerechnet jetzt verarschen? Das hier ist doch kein Spaß.«
    »Tja, in solchen Momenten hört der Spaß wohl auf.«
    Genauso fühlt es sich an. Wie im Stadion. Er spürt die drohende Niederlage. Im Stadion weiß er wenigstens, mit welchen Ritualen er sich ablenken kann. Die Kappe abnehmen – oder

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