Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
den Apparat und zählt. Drei Pesos fünfundsiebzig. Müsste reichen.
»Hallo, Mama, hier ist Fernando.«
»Hallo.«
»Wie geht’s dir?«
»Wie immer.«
Fernando seufzt. Er hasst diese Antwort, obwohl er schon damit gerechnet hat, weil seine Mutter immer so antwortet. Er hasst diese Antwort, weil er das Gefühl hat, seine Mutter würde ihn verantwortlich machen für ihren Schmerz, ihren Lebensüberdruss.
»Mama, schau doch bitte mal in der Kommode im Wohnzimmer nach, ob du die Anleitung für Monos Kamera findest, in der obersten Schublade.«
»Warum?«
»Weil ich wissen muss, wie lang der Akku hält. Ich bin gerade in Santiago del Estero, um diesen Pittilanga zu filmen, von dem ich dir erzählt hab. Vielleicht hilft’s ja, um ihn zu verkaufen. Dann kriegen wir wenigstens ein bisschen was von dem Geld zurück. Für die Kleine, mein ich.«
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
Im tiefsten Innern hofft er, dass seine Mutter sagen wird: › Ach, Fernando, du bist ein guter Junge, was du alles auf dich nimmst, um deinem Bruder und deiner Nichte zu helfen. ‹ Aber es kommt nichts. Nur Schweigen.
»Hallo, Mama? Bist du noch dran?«
»Ja. Aber ich frag mich, warum du ihn Mono nennst, wo du doch genau weißt, dass ich den Namen nicht mag. Noch nie mochte. Wie oft hab ich dir das schon gesagt.«
Fernando seufzt erneut. Er hat eine zweihundert Kilometer lange Busfahrt auf sich genommen, weil er versuchen will, Monos Geld zu retten, um Guadalupe – seiner einzigen Nichte – eine bessere Zukunft zu bieten, und ein bisschen auch, um sie enger an sich zu binden. Aber seiner Mutter nach ist das im besten Falle seine Pflicht und im schlimmsten kompletter Schwachsinn. Ihr ist nur wichtig, dass er Mono nicht Mono nennt.
»Okay, Mama. Entschuldige. Aber such jetzt bitte die Anleitung raus, ja? Und beeil dich, das Geld ist gleich alle.«
Während er wartet, hört er, wie die Münzen durchklickern. Wenn sie sich nicht beeilt, ist gleich Schluss.
»Hallo.«
»Hast du sie gefunden?«
»Ja, aber mir ist nicht klar, was du wissen willst.«
»Wie lang der Akku hält, Mama, schau mal im Index nach.«
»Oh, die Schrift ist aber klein.«
Fernando seufzt ein drittes Mal und kratzt sich mit dem Hörer die Stirn. »Wo hast du denn deine Brille, Mama?«
»Die ist in der Küche. Kannst du das mit dem Akku nicht irgendwie anders rauskriegen?«
Ein Tuten kündigt an, dass die Verbindung gleich unterbrochen wird. Fernando legt lieber sofort auf, und das Geld rasselt durch. Er steckt die Finger in den Schacht und fischt das Restgeld heraus: fünfundzwanzig Centavos. In letzter Zeit funktionieren die öffentlichen Telefone erstaunlich gut. Fast nie sind die Kabel durchgeschnitten, und auch das Restgeld wird selten verschluckt. Als er seinen Weg zum Stadion fortsetzt, geht ihm ein Licht auf: Die öffentlichen Telefone funktionieren deshalb so gut, weil alle ein Handy haben. Nur arme Schweine wie er nicht. Was für ein Scheißland, denkt er bitter, wo nur das heil bleibt, was keiner will.
Das Stadion sieht er erst, als er schon fast davorsteht, weil die Tribüne so winzig ist und ihre Rückwand auch die Mauer einer Fabrik oder Schule sein könnte. Nur die vier dünnen Flutlichtmasten sind ein eindeutiger Hinweis.
Er kauft eine Eintrittskarte und lässt die Kontrolle über sich ergehen. Dann steigt er die Stufen hinauf und setzt sich auf den obersten Rang. Neugierig sieht er sich alles an: den niedrigen Zaun, die Strafräume, den Mittelkreis, auf dem kein Grashalm mehr wächst, die abgeblätterte Werbung auf der Wand der Gegentribüne.
Als er die Kamera einschaltet, erinnert er sich an das Gespräch mit seiner Mutter. »Alejandro«. No way. Für ihn ist Mono Mono und wird auch immer Mono bleiben. Er fragt sich, ob seine Mutter ihn genauso entschlossen gegen einen Spitznamen verteidigen würde. Vermutlich nicht. Vermutlich, denkt er in einem Anfall von Selbstgeißelung, hat er sich genau deshalb immer gegen einen Spitznamen gewehrt: weil seine Mutter keinen wollte. »Fernando«, hat seine Mutter immer zu ihm gesagt, sagt es heute noch. Ein zärtliches, vertrautes »Fer« würde ihr nie über die Lippen kommen, nie. Ein »Ale« schon, »Ale« hat sie tausendmal gesagt.
Die Mannschaften laufen auf. Fernando stellt die Kamera auf Pause. Er hat Angst, dass mitten in der Partie der Akku schlappmacht. Was, wenn Pittilanga genau in dem Moment ein Traumtor schießt? Kaum auszudenken. Aber auch wenig wahrscheinlich.
Er denkt wieder an
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