Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
das Telefonat mit seiner Mutter. Sie war nicht einmal überrascht, dass er nach Santiago del Estero gefahren ist, um dieses Spiel zu filmen. Er hätte genauso gut sagen können, er sei in Ituzaingó und unterrichte an der dortigen Schule. Seine Mutter hört ihm zu wie jemand, der dem Regen lauscht. Beim nächsten Mal wird er sie auf die Probe stellen: Mama, ich bin auf dem Mars, um wenigstens ein bisschen was von Monos Geld zu retten. Aber das würde auch nichts nützen.
Er aktiviert die Filmfunktion und stellt scharf, weil Pittilanga gerade steil geschickt worden ist und sich einen Abwehrspieler vom Leib hält. Als der Ball die Torauslinie überschreitet, drückt er auf Pause. Er kann sich nicht erinnern, wann genau er auf die Schnapsidee gekommen ist, hierherzufahren. Bestimmt nach dem Streit mit Mauricio. Und weil Ruso seinem Blick ausgewichen ist, als er ihn in der Waschanlage aufgesucht hat. Bestimmt war das der Moment, in dem ihn wieder mal dieses verflixte Helfersyndrom übermannt hat.
Er drückt auf Play, als Atlético Mitre einen Angriff fährt. Die Gastmannschaft klärt zur Ecke. Fernando fokussiert auf Pittilanga, der am Elfmeterpunkt lauert, fängt mit einer winzigen Bewegung des Handgelenks auch das Tor mit ein, sollte Pittilanga tatsächlich dorthin köpfen. Der Ball kommt, fliegt aber viel zu weit, segelt zwei Meter über Pittilanga hinweg. Fernando drückt wieder auf Pause und lässt die Kamera sinken.
9
Es klopft zweimal an der Tür, wozu die Armreife klimpern, die Soledad am linken Handgelenk trägt.
»Ja«, sagt Mauricio, und die junge Frau streckt den Kopf herein. »Dr. Williams lässt ausrichten, du sollst bei ihm im Büro vorbeikommen, er will mit dir sprechen.«
»Und, was meinst du als Expertin der William’schen Dringlichkeitsskala: Welche Stufe?«
Sie lächelt. Sie trägt eine schwarze Bundfaltenhose und eine weiße Rüschenbluse, die ihre Kurven vorteilhaft zur Geltung bringen. »Sechs, würde ich sagen.«
»Sechs? Okay. Dann ist ja noch Spielraum für einen Kaffee. Vorausgesetzt natürlich, meine Assistentin erklärt sich bereit, mir einen zu kochen. Oder ist noch welcher von heute Morgen übrig?«
»Ja und nein. Nein, es ist keiner mehr übrig, und ja, ich mache gern neuen. Aber …«
»Aber …«
»Sechs ist nicht ungefährlich. Fünf bedeutet: entspannt. Sieben: Alarm. Sechs ist irgendwo dazwischen.«
»Irgendwelche Vorschläge?«
»Du schaust jetzt gleich bei Williams vorbei, und ich mache in der Zwischenzeit Kaffee.«
Stumme Blicke. Gegenseitiges Lächeln. Ein bisschen zu süßlich, das Ganze, aber was soll’s. Man nimmt, was man kriegen kann.
»Unter einer Bedingung. Wie ich weiß, warst du gerade dabei, ein Schriftstück abzutippen. Wenn ich dich also schon von der heiligen Arbeit abhalte, dann musst du mit deinem großartigen Chef wenigstens zusammen einen Kaffee trinken.«
Wieder stumme Blicke, diesmal länger.
»Scheint mir nur fair.«
Mauricio strahlt. Jetzt hat er sie so weit, jetzt gilt es, eine Entscheidung zu treffen.
Das Telefon klingelt. Soledad kehrt ins Vorzimmer zurück und nimmt ab. Mauricio geht rasch die Pros und Contras durch. Contra: Sie ist seine persönliche Sekretärin, wodurch sich die Gefahr, dass sie irgendwann Zicken macht, gefährlich erhöht. Ihn womöglich wegen sexueller Belästigung anzeigt, zum Beispiel. Neulich hat ihm jemand eine richtige Horrorgeschichte erzählt. Noch ein Contra: Sie ist die beste Sekretärin, die er je hatte. Wenn es böse endet, was früher oder später immer passiert, wird er nicht nur ohne Geliebte dastehen, sondern auch ohne Sekretärin. Noch ein Contra: Das Mädchen ist hochintelligent, durchsetzungsfähig, weiß, was es will. Ein Minenfeld. Er sucht keine Herausforderung, sondern ein bisschen körperliche Nähe. Alles in allem: zu viele Contras. Aber, noblesse oblige, es gibt auch ein Pro: Die Kleine ist sexy. Sehr sexy sogar. So sexy, dass es alle Contras überwiegt.
Soledad kommt wieder herein. »Ruso ist in der Leitung. Bist du da?«
Mauricio macht ein »Natürlich«-Gesicht, um sich als treuer Freund seiner Freunde ins rechte Licht zu rücken. Alles kann hilfreich sein. Soledad verlässt das Büro. Als sie die Tür hinter sich zugemacht hat, nimmt er den Hörer ab. Das Abwägen von Pros und Contras ist absolut blödsinnig und löst überhaupt nichts. Am Ende ist man immer seinen Trieben ausgeliefert. Was gar nicht so schlecht ist. Zumindest meistens.
»Hallo, Ruso, was gibt’s?«
»Hallo,
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