Vier minus drei
keiner
lustig findet, und stolpern selbst dann noch über ihre zu großen Schuhe, wenn niemand mehr lacht.
Diese Menschen hatten offenbar nie die Chance, Heli zu sehen.
Ich möchte hier einen vorsichtigen Versuch wagen, in das große, naive, zarte Universum der roten Nase einzutauchen. Als Hommage an Heli, einen großartigen Clown mit großem Herz.
»Wir sind eine Clownfamilie«, das hat Thimo oft befunden, und er sagte es nicht ohne Stolz.
Auch er war mir ein wundervoller Lehrer, wenn es darum ging, der Welt mit unvoreingenommenem Blick zu begegnen. An Problemen zu wachsen und sich nicht mit der erstbesten Lösung zufriedenzugeben. Über Kleinigkeiten zu lachen. Und nicht alles so ernst zu nehmen.
Ich bin selbst ein Clown. Eine rote Plastikperücke habe ich noch nie getragen, und meine Schuhe passen mir wunderbar. Die rote Nase aber, sie setze ich gern auf, oft auch nur im Geist. Dann, wenn mir mein, ach, so kluger Kopf nicht weiterhelfen kann. Wenn mir die Welt zu düster erscheint. Wenn ich Gefahr laufe, zu vergessen, dass das Leben ein Spiel ist.
Im Mai 1996
Mein erster Clownworkshop. Zum Aufwärmen haben wir Fangen gespielt und getanzt. Jetzt soll es so richtig losgehen. Es ist Zeit für unsere »Clowngeburt«.
Ich liege mit geschlossenen Augen auf dem Boden. Leise Musik erfüllt den Raum. Wir folgen den Anweisungen unseres Clownlehrers. Träumen uns an einen schönen, freundlichen Ort, fühlen, wie uns der Boden trägt. In der Hand hält jeder eine rote Nase mit Gummiband. Wir werden sie gleich aufsetzen. Sie wird uns helfen, der Welt neu zu begegnen. Als Clowns.
Der Lehrer betont: Alles, was wir gleich sehen werden, ist neu. Nichts hat einen Namen, nichts hat eine Bedeutung. Ich öffne die Augen, schaue mich um. Mein Blick bleibt an meiner eigenen Hand hängen. Nein – Achtung – keine Namen!
Ich sehe keine Hand. Ich sehe ein Ding, das mit meinem Körper verbunden ist und recht interessant aussieht.
Ich möchte es von allen Seiten ansehen, es bewegt sich, dreht sich wie von selbst – nur weil ich es will.
Faszinierend!
Fünf würstchenartige Gebilde können sich unabhängig voneinander bewegen, können sich öffnen und schließen, strecken und beugen.
Ich bin begeistert. Mein Forschergeist ist geweckt. Neugierig bringe ich meine Finger in Positionen, die ich noch nie zuvor ausprobiert habe. Erschaffe Bilder und Figuren. Fünf Würstchen werden zum Werkzeug meiner Fantasie.
Die Übung dauert lange, sie soll langsam ausgeführt werden. Es braucht eben Zeit, die Welt neu zu entdecken.
Doch Zeit spielt jetzt keine Rolle. Es scheint mir fast, als existiere sie nicht.
Nach und nach erfasst meine Aufmerksamkeit andere Körperteile, ich erforsche meinen ganzen Körper und seine Möglichkeiten, probiere Dinge aus, die mir noch nie eingefallen sind, die aber plötzlich ganz natürlich erscheinen. Ich experimentiere. Ich spiele.
Ich habe Spaß!
Der Clown in mir entdeckt die anderen Clowns. Das Spiel wird fortgesetzt. Wir betrachten erst einander, dann öffnen wir uns der Umgebung. Untersuchen Tische, auf denen man Boot fahren kann, setzen Becher als Hüte auf den Kopf, verstecken unsere Hände in Plastiktüten.
Von außen betrachtet müsste man glauben, wir spinnen.
Egal. Wir betrachten die Welt nicht von außen, sondern wir sind ein Teil der Welt.
Immer der Nase nach. Unser kindliches Gemüt zeigt uns, worauf es Lust hat. Es gibt nichts zu überlegen, tausend Dinge warten darauf, entdeckt zu werden.
Ich bin glücklich.
»Macht weiter!«, fordert der Lehrer ein paar der Clownneulinge auf.
»Folgt eurem Spaß.«
Wir anderen schauen zu. Was wir sehen, ist wunderschön: fünf Gestalten mit roter Nase, alle intensiv beschäftigt mit irgendeiner Kleinigkeit, voller Hingabe. Jeder hat sein eigenes Tempo, seinen eigenen Rhythmus. Die Freude, die Faszination ergreift auch uns, die wir zusehen. Wir müssen schmunzeln, mitunter sogar lachen. Doch das ist gar nicht so wichtig.
Was wir alle empfinden:
Die Welt ist gut, die Welt ist schön.
Es tut gut, jemandem dabei zuzusehen, wie er liebevoll und zärtlich die Welt entdeckt. Eine Welt, von der wir schon dachten, dass wir sie zur Genüge kennen.
Heli. Du warst immer mein Vorbild, wenn es um die Clownerie ging. Was ich auf der Bühne und im Krankenzimmer spielte, hattest du zu deiner Lebenseinstellung gemacht. Nun sage mir: Was tut ein Clown, wenn er seine Familie verliert?
Ist es die Stimme meines Mannes, die mir die Antwort zuflüstert?
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