Vier minus drei
einfallen will.
»Natürlich werden wir Sie unterstützen. Sagen Sie, könnten Sie morgen früh vielleicht in mein Büro kommen? Ich würde gern ein Foto von Ihnen machen.«
»Okay.«
»Wunderbar. Ich freue mich auf morgen. Übrigens – eines wäre noch wichtig. Sie sollten den Text keiner anderen Zeitung geben, wir wollen ihn schließlich exklusiv veröffentlichen.«
Exklusiv. Das klingt ganz schön wichtig.
»Klar.«
Eigenartig. Die Leute finden mich toll, weil meine Familie gestorben ist. So toll, dass sie die Exklusivrechte an mir haben wollen. Schau an, schau an.
Als ich ins Bett zurückkehre, fühle ich mich um Ecken größer als vorher. Man sieht mich. Man schätzt mich. Gar nicht wenig für einen Menschen, der sonst gar nichts mehr hat.
Nachts liege ich wach. Vielleicht habe ich zu viel geschlafen, untertags. Meine Augen wollen nicht geschlossen bleiben, starren in die Finsternis, obwohl es da nun wirklich nichts zu sehen gibt. Oder etwa doch? Bilder tauchen auf, in der Dunkelheit, in meinem Kopf.
Das Seelenfest. Die vielen Menschen. Da … der Zeitungsfotograf! Was hat er eigentlich auf meinem Fest gemacht?
Hatte er etwa vor, einen Artikel zu schreiben? Ist meine Mail vielleicht längst in der Zeitung?
Auch mein Vater kann offenbar nicht schlafen. Im Vorzimmer höre ich seine Schritte. Ich springe aus dem Bett.
»Papa, hast du mit dem Fotografen am Begräbnis gesprochen?«
»Ja, er wollte etwas über dich schreiben.«
Tatsächlich. Jetzt hat mich die Frau von der Zeitung bestimmt nicht mehr lieb, jetzt, wo ich nicht mehr exklusiv bin.
»Und du hast es ihm erlaubt?!«
»Äh … ja.«
»Hast du ihm meine Mail geschickt?«
Mein Vater nickt.
» Papa! Ich habe der Journalistin versprochen, dass ich die Geschichte sonst niemandem gebe! Wie konntest du das nur erlauben, ohne mich zu fragen?«
Ist es die Nacht, die aus einem kleinen Problem eine Katastrophe macht? Oder bin ich doch aus anderen Gründen nervenschwach?
»Ich habe es versprochen! Jetzt wird mir die Zeitung sicher nicht helfen, das Netzwerk nicht, niemand.«
Meine Welt bricht zusammen. Wofür ich die Hilfe der Zeitung genau brauche, weiß ich nicht, aber ich habe mich nie hilfsbedürftiger gefühlt als jetzt. Ich zittere, heule, schreie vorwurfsvoll meinen Vater an und klammere mich gleichzeitig an ihm fest.
»Ich war so stolz auf dich, auf deinen Text, ich wusste ja nicht, dass …«
Mein Vater ist zusammengesunken und sieht bleich aus. Zum ersten Mal in meinem Leben meine ich, Tränen in seinen Augen zu sehen.
Mein Papa. Wir waren doch immer ein Herz und eine Seele. Wieso schreie ich ihn an, gerade jetzt, in dieser fürchterlichen Zeit?
»Es tut mir so leid«, wimmere ich.
»Mir tut es auch so leid.«
Warum ist mein Vater immer noch so geknickt? Wie kann ich ihn wieder aufrichten, wo ich doch selbst nur aus Rotz und Wasser bestehe?
Ich gehe wieder ins Bett, Papa setzt sich an die Bettkante. Wir wissen beide nichts zu sagen, können den Streit nicht ungeschehen machen. Es ist schrecklich. Meine Vorwürfe haben Wunden geschlagen in einen Mann, den ich für unverwundbar gehalten hatte.
»Lass uns morgen weiterreden. Ich komme mit zum Interview und werde beichten«, beruhigt mich mein Vater endlich und lächelt ein wenig.
»Papa, ich möchte nie mehr mit dir streiten«, flehe ich.
»Nein, ich auch nicht. Gute Nacht, mein Schatz.«
Ein Kuss. Ein Lächeln.
Alles wird gut.
Ausgesperrt
Die ersten Apriltage waren grau und kalt, sogar in meiner Heimat, der grünen Steiermark. Auch in meinem Häuschen war es etwas ungemütlich, die Zimmer waren ausgekühlt, es roch nach Staub, in der Speisekammer hatten sich die Mäuse gütlich getan. Und doch war es der einzige Platz, an dem ich jetzt sein wollte. Meine Eltern hatten mich nach Hause gebracht. Dorthin, wo ich mich Heli und meinen Kindern am nächsten fühlte. Ich wollte allein sein.
Das schlechte Wetter störte mich nicht. Es kam mir gerade recht. So konnte ich mich einfach im Bett verkriechen und musste keinen Schritt vor die Tür tun. Ich dämmerte wie in einem zeitlosen Zustand vor mich hin. Schlief, wann ich wollte, egal, ob es Tag war oder Nacht. Helis Pyjama, Finis »Deckalein«, Thimos Plüschwalfisch waren alles, was ich brauchte.
Deutlich spürte ich die Nähe meiner Familie. Im Schlaf, im Traum kam sie mich verlässlich besuchen, lebendig und fröhlich wie eh und je.
Früher hatte ich am Tag eine Familie und war in der Nacht auf eigenen Pfaden unterwegs.
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