Vier minus drei
beschlossen ein paar Frauen aus meinem ehemaligen Heimatort, eine Hilfsaktion ins Leben zu rufen. Sie eröffneten ein Spendenkonto auf meinen Namen und tätigten eine erste Einzahlung.
Sozialverein St. Marein bei Graz .
Sie verteilten die Kontonummer an alle, die Anteil an meinem Schicksal nahmen. Schließlich informierten sie die Zeitung, die in ihrem Chronikteil täglich über den Zustand meiner Kinder berichtete. Als dieselbe Zeitung wenig später das Interview veröffentlichte, in dem ich selbst über mein Schicksal sprach, kam die Kontonummer ans Ende des Artikels.
Meine Freundin Andrea, die in meinem Namen über das Spendensparbuch wachte, lief zweimal am Tag auf die Bank in unserem Heimatort, um mir den aktuellen Kontostand durchzugeben.
Es war ein Spiel, das uns beide entzückte. Ein Spiel, das nur stattfinden konnte, weil so viele Menschen mitspielten. Die Gewinnerin war ich. Ich, die gerade erst so viel verloren hatte, nahm das, was mir zuteil wurde, umso dankbarer entgegen.
Es waren in den meisten Fällen keine großen Beträge. Solidaritätsbekundungen, kleine Zeichen.
Mein Taschengeld . Fünf Euro.
Eine kleine Hilfe. Zehn Euro.
Doch auch die eine oder andere große Summe war dabei:
Wir haben das Geld bei unserer Hochzeit gesammelt, statt der Geschenke.
Ich spende jedes Jahr für einen guten Zweck, heuer sind Sie dran.
Geld kann nichts heilen. Aber es kann helfen.
Was ich erhielt, war weit mehr als nur Geld.
Ich hatte Zeit geschenkt bekommen. Die Möglichkeit, mir die eine oder andere Freude zu machen. Die Freiheit, Dinge zu kaufen, die sich später vielleicht als unnötig herausstellen würden. Vor allem durfte ich ohne Angst in die Zukunft blicken, zumindest für ein paar Monate.
Für jeden Euro, den ich bekam, bin ich unbeschreiblich dankbar. Jeder einzelne hat seinen Zweck erfüllt.
Geld ist nicht alles, es ersetzt keine Nähe, keine Umarmung, kein liebes Wort. Doch Zuwendung tut auf allen Ebenen Not, wenn man Schreckliches erlebt hat. Die Währung des Herzens verliert nicht an Wert, wenn sie ein Eurozeichen trägt.
Meine Teetasse ist leer. Mein Rücken schmerzt schon ein wenig. Ich kann mich dennoch nicht losreißen von den vielen, vielen Bögen, die noch gelesen werden möchten. Ich habe versucht, sie ein wenig zu ordnen.
Einer der Stapel, die ich gerade angelegt habe, besteht aus etwa zwanzig Briefen. Verfasst von mir unbekannten Menschen. Ihre Geschichten erscheinen mir dennoch vertraut. Sie handeln von der Begegnung mit dem Tod, von Partnern und Kindern, die früh – zu früh – gestorben sind.
Diese Briefe wurden geschickt, um mir mitzuteilen:
Auch ich habe Ähnliches erlebt. Auch ich durfte erfahren, dass das Sterben eines geliebten Menschen nicht nur furchtbar sein muss, sondern zugleich ein wertvolles Geschenk sein kann, weil es uns das Tor zu einer anderen Welt öffnet. Zu einer Welt, die wir Himmel nennen können oder bedingungslose Liebe oder Vertrauen in das Schicksal.
Einer der Briefe stammt von einer Frau, die ihren Mann bei einem Flugunglück verlor. Sie beschreibt, dass der Tod sich auch bei ihm einige Wochen zuvor angekündigt hatte. Er wollte das Haus, das sie gerade bauten, eilig »fertig machen«. Auch er hatte Frieden mit alten Bekannten gesucht. Am Tag des Unfalls, so schreibt die Frau, war ihr Mann aufgekratzt und fröhlich, als stünde ihm etwas Herrliches bevor.
Ich bin verblüfft über die Parallelen.
In einem anderen Schreiben berichtet mir eine Mutter vom seltsamen Gefühl der Leichtigkeit, das sie erfüllte, als ihr ungeborenes Kind in ihrem Bauch verstarb und sie es in einem hellen Lichtball lächelnd entschweben sah. Eine große, warme Sonne blieb im Körper der Frau zurück.
Ja, diese Blase, diese Sonne kenne ich auch.
Einen letzten Brief halte ich lange in Händen. Darf ich die Geschichte, die er erzählt, weitergeben? Sie ist sehr intim. Scheint mit zitternder Hand geschrieben. Gleichzeitig ist sie mir unendlich wertvoll, zeigt sie doch, wie wichtig es ist, über den Tod und die Tabus, die ihn begleiten, zu sprechen.
Es ist die Autorin dieses Briefes, für die ich immer wieder meine Kraft zusammensammelte, wenn ich bei der
Niederschrift meiner Erlebnisse zu verzweifeln drohte. Ihr Brief ist es, von dem ich Menschen erzählte, wenn sie nicht verstehen wollten, warum ich öffentlich über mein Schicksal spreche. Nicht zuletzt für sie schreibe ich dieses Buch.
Für sie und alle anderen, die Erleichterung und Austausch suchen im Umgang
Weitere Kostenlose Bücher