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Vier minus drei

Titel: Vier minus drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
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beschreibt die Stationen auf ihrer Reise, die sie begann, als sie plötzlich eine »Hinterbliebene« wurde, im Alter von zwölf Jahren.
     
    Hinterblieben.
    So wollte ich das Buch, an dem ich nun schreibe, anfangs nennen. Das Wort war mir dann doch zu sperrig.
    Hört sich an wie zurückgeblieben.
    Gar nicht so unpassend, vor allem, wenn ich daran denke, welches Schnippchen mein überlastetes und traumatisiertes Hirn mir bisweilen schlug.

    Hinterblieben, das klingt außerdem nach Stehenbleiben.
    Die Hinterbliebenen stehen am Grab und schauen ins Loch. Nehmen Beileid in Empfang. Und dann? Wie lange ist man hinterblieben? Und, fast noch wichtiger: Wenn man es nicht mehr ist, was ist man dann?
    Ich werde immer, für immer die Frau sein, die Mann und Kinder verloren hat. Der Tod meiner Familie hat mich mehr als alles andere geprägt und wird meinen Lebensweg noch lange beeinflussen. Sogar dann noch, wenn ich es selbst gar nicht mehr bemerke. Falls das überhaupt je möglich ist.
    Man sollte ein Wort für diesen Zustand erfinden. Oder auch nicht. Denn dieses Wort, das es zu erfinden gälte, würde uns früher oder später ja alle betreffen. Wir alle werden eines Tages Hinterbliebene sein, und doch wird keiner von uns stehen bleiben, dort, am Rande des Grabes. Wir alle werden verändert weitergehen. Als Mutige. Gehende. Als Menschen.
    Eines schönen Tages werden wir uns sogar auf der anderen Seite wieder treffen. Dann werden wir darüber lachen, wie kurz doch die Zeit auf Erden war.
     
    Die Briefe meiner Freundin Karin beginnen allesamt mit denselben Worten:
    Ich schreibe dir und tue es für mich. Du musst nicht antworten.
    Noch heute bin ich froh und erleichtert über die Absolution, die Karin da aussprach. Ich hatte sie bitter nötig.
    Man stelle sich vor: Es waren über dreihundert Briefe, die sich in den Wochen nach dem Unfall in meinem Briefkasten
befanden. Im selben Zeitraum überwiesen mehr als siebenhundert Menschen Geld auf ein Spendenkonto, das der Sozialverein meines Heimatortes am Tag nach dem Unfall in weiser Voraussicht für mich eingerichtet hatte.
    Tausend Menschen! Sie alle hatten etwas für mich getan und ihnen allen war und bin ich zu Dank verpflichtet! Noch heute wird mir etwas schwindlig bei dieser Zahl. Wie vielen von ihnen habe ich wirklich meinen Dank ausgesprochen? Zwanzig? Dreißig? Hundert? Ich weiß es nicht mehr.
    Irgendwann einmal verfasste ich einen Brief, kopierte ihn fünfzig Mal auf schönes Papier, unterschrieb jeden einzelnen mit der Hand. Kaufte fünfzig Kuverts und fünfzig Marken.
    Fühlte mich unendlich dumm, als ich dachte:
    Ich sende ihn an alle, die mir mehr als 50 Euro gespendet haben .
    Fühlte mich gleich darauf noch dümmer bei der Vorstellung, eintausend Kopien in eintausend Kuverts zu stecken und diese mit eintausend Marken zu bekleben.
    Kapitulierte und verschickte den Brief wahllos, nach dem Zufallsprinzip.
    Einige der präparierten Kuverts stehen noch immer in meinem Regal. Vielleicht wäre es besser, ich würde sie verbrennen.
    Etwas schuldig zu sein, und sei es nur ein Dankeschön, ist kein schönes Gefühl. Selbst heute noch erinnert mich die Stimme in meinem Kopf gelegentlich daran, dass die Rechnung zwischen Geben und Nehmen noch nicht ausgeglichen ist.

    Ich hoffe, dass ich der Welt eines Tages all das zurückgeben kann, was ich bekommen habe .
    So schrieb ich in dem fünfzig Mal kopierten Dankesbrief. Ein erster Versuch, mit der Schieflage klarzukommen, mit der ich konfrontiert war. Der Wunsch, mich irgendwann, möglichst bald, revanchieren zu können für all das Gute, das ich bekam, setzte mich allerdings gehörig unter Druck. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte.
    Ich wünsche euch, dass das Glück, das ihr geschenkt habt, in vielfacher Weise zu euch zurückkommt .
    Auch dieser Satz wurde fast fünfzig Mal verschickt. Konnte ich das, was ich nicht schaffen würde, vielleicht an das Universum delegieren?
    Ich wollte nicht so recht daran glauben, was mir so viele Menschen schrieben:
    Du hast mir mit deiner Mail so viel gegeben. Mein Geschenk soll ein Dankeschön an dich sein, dafür, dass ich durch deine Worte den Wert des Lebens neu begriffen habe .
    Ich hatte gegeben und erhielt als Dank etwas zurück? Wie gern hätte ich die Angelegenheit so betrachtet. Doch die Stimme in meinem Kopf, die manchmal ganz schön streng sein kann, gab sich damit nicht wirklich zufrieden.
    Als du die Mail an deine Freunde schriebst, hast du es nicht vor allem für

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