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Vier minus drei

Titel: Vier minus drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
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dass der Schmerz, die Verzweiflung, die Trauer auf beiden Seiten ähnlich groß sind. Ich ahne aber auch, dass ich als Hinterbliebene weitaus mehr Mitgefühl, mehr Trost, mehr Unterstützung erfahren durfte als der Lenker des Zuges.

    Hat er Päckchen bekommen? Briefe? Hat er einen Weg gefunden, das Geschehene in Frieden abzuschließen? Erntet er Verständnis, wenn er heute, nach vielen Monaten, immer noch in Verzweiflung oder Trauer verfällt?
    Ich hoffe es.
    Und ich hoffe, dass er meine Worte, falls er sie doch brauchen kann, eines Tages liest:
    Sehr geehrter Herr Lokführer!
     
    Ich weiß weder, wie Sie heißen, noch wie Sie aussehen. Ich habe Sie nie kennengelernt, und doch hat uns das Schicksal miteinander in Verbindung gebracht – leider durch Umstände, die wir wohl beide lieber ungeschehen machen würden.
    Doch was passiert ist, ist passiert, und unser beider Leben geht weiter.
    Wir werden einander auch in Zukunft nicht begegnen. Wir werden den Tag nicht gemeinsam verbringen, an dem wir zum ersten Mal wieder aus vollem Herzen lachen, an dem wir vollkommen entspannt und ohne Sorgen den Sonnenschein genießen werden. An dem wir für einige Momente das, was jetzt ist, genießen werden, ohne an das zurückzudenken, was geschehen ist.
    Ich möchte Ihnen so vieles sagen und versuche doch, mich kurz zu fassen. Ich will Ihre Aufmerksamkeit nicht zu lange auf das Thema lenken, das Sie vermutlich ebenso schmerzt wie mich.
    Nur so viel:

    Die Tatsache, dass mein Mann und meine Kinder an jenem Gründonnerstag tödlich verunglückt sind, ist – so glaube ich – kein Zufall. Ich glaube fest daran, dass es das Schicksal ist, das bestimmt, wann wir uns von der Erde verabschieden. Vielleicht entscheidet irgendetwas in uns sogar ein bisschen mit. Vielleicht gehen wir mit dem vagen Gefühl, dass wir unsere Aufgaben hier auf der Erde erfüllt haben, möglicherweise sogar im Bewusstsein, dass uns dort, wo wir als Nächstes hingehen, ebenso wichtige und schöne Aufgaben erwarten.
    Mein Mann hat im Leben viele Aufgaben erfüllt. Er hat so viele Menschen glücklich gemacht und zum Lachen gebracht, nicht zuletzt und vor allem mich. Womöglich war sein plötzlicher Tod seine letzte, große Lebensaufgabe, auch wenn er sie sicher nicht freiwillig gewählt hat.
    Mein Mann hat durch sein Sterben vielen, vielen Menschen die Augen geöffnet. Er hat uns gelehrt, wie wertvoll jeder Augenblick ist. Wie wichtig das Lachen und die Lebensfreude sind. Wie froh wir sein dürfen über alles, was wir haben. Er hat uns gezeigt, dass wir nichts, gar nichts auf Dauer besitzen und dass uns selbst unsere liebsten Menschen nur für eine Zeit geliehen sind. Wir wissen nicht, für wie lange.
    Ich möchte, dass Sie wissen, dass mein Mann sehr glücklich war an dem Tag, als er in den Himmel fuhr. Wenn ich mir einen Zeitpunkt für meinen
Tod aussuchen könnte, würde ich mich vielleicht für einen ebenso glücklichen, fröhlichen Tag entscheiden. Die Tatsache, dass mein Mann in seinem Clownbus verunglückt ist, passt zu ihm, fast möchte ich sagen:
    »Typisch Heli.«
    Ich zeichne hier ein sehr vereinfachtes Bild von dem, was geschehen ist, das weiß ich. Ich habe mir das Bild von der Himmelfahrt eines fröhlichen Clowns ausgedacht, weil es das, was geschehen ist, für mich erträglich macht. Die meisten Menschen, die von dem Unfall erfuhren, konnten sich zu einem gewissen Grad selbst aussuchen, wie sie sich die Szene ausmalen – in fröhlichen, hellen Farben oder in schrecklichen, dunklen Tönen.
    Auch ich habe dieses Privileg und nutze es zu meinem Besten.
    Im Gegensatz dazu konnten Sie die Bilder, die Sie gesehen haben, nicht frei wählen. Sie waren dabei und haben vielleicht nicht gesehen, wie ein Clown in den Himmel sauste, weil sie gerade auf den Körper des Mannes geschaut haben, der einmal dieser Clown war. Sie mussten vermutlich so vieles sehen, was sie nicht sehen wollten, und es wird lange brauchen, bis diese Bilder gut in Ihrer Erinnerung verstaut sind und nicht mehr wehtun. Ich habe von einer Mitarbeiterin Ihrer Firma erfahren, dass Sie mit dieser Aufgabe nicht allein sind und dass Sie Hilfe bekommen. Ich hoffe,
dass diese Hilfe ausreicht, und ich wünsche Ihnen alle Kraft der Welt.
    Ich möchte jetzt etwas aussprechen, das ich völlig ernst meine, obwohl es vielleicht eigenartig klingen mag:
    Wenn der Tod meines Mannes – und davon bin ich überzeugt – nicht zufällig geschah, wenn er vielleicht sogar so etwas wie einen Sinn gehabt hat

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