Vier moralische Schriften
sind und die 55
verbleibenden 58 Prozent höchst unterschiedlicher Herkunft (darunter irische, italienische, hispano-amerikanische, polnische Katholiken), so daß die WASPs, die weißen angelsächsischen Protestanten, inzwischen in der Minderheit sind.
In Lateinamerika ist die Entwicklung von Land zu Land
unterschiedlich verlaufen: mal haben die spanischen Siedler sich mit den Indios vermischt, mal auch (wie in Brasilien) mit den Afrikanern, mal sind sogenannte »kreolische« Sprachen und Bevölkerungen entstanden. Es ist oft schwer zu sagen, auch wenn man in rassischen Blutsbegriffen argumentieren will, ob ein Mexikaner oder ein Peruaner europäischer oder indianischer Herkunft ist, um nicht von einem Jamaikaner zu reden.
Nun, so ungefähr wird es auch in Europa kommen, und kein Rassist, kein reaktionärer Nostalgiker wird das verhindern können.
Ich denke, man sollte den Begriff »Immigration« von dem der
»Migration« unterscheiden. Immigration liegt vor, wenn einige Individuen (es können auch viele sein, aber in statistisch unerheblicher Zahl verglichen mit dem ursprünglichen Stamm) sich aus einem Land in ein anderes begeben (wie die Italiener oder die Iren nach Amerika oder heute die Türken nach
Deutschland). Immigrationsphänomene können politisch
kontrolliert, begrenzt, gefördert, programmiert oder hingenom-men werden.
Nicht so die Migrationen. Gleich ob sie gewaltsam oder friedlich daherkommen, sie sind wie Naturphänomene. Sie treten ein, und niemand kann sie kontrollieren. Migration liegt vor, wenn ein ganzes Volk aus einem Gebiet in ein anderes zieht (wobei es nicht relevant ist, wie viele von ihm im Ursprungsland bleiben, sondern wie radikal es die Kultur des Landes, in das es einge-wandert ist, verändert). Es hat große Ost-West-Migrationen gegeben, in deren Verlauf die Völker des Kaukasus sowohl die Kultur wie das biologische Erbgut der Eingeborenen gründlich verändert haben. Es hat die Migrationen der sogenannten 56
»barbarischen« Völker gegeben, die das Römische Reich
überflutet und neue Reiche mit neuen Kulturen geschaffen haben, Mischkulturen, die dann eben »römischbarbarisch« oder
»römisch-germanisch« genannt worden sind. Es hat die europäische Durchdringung des amerikanischen Kontinents gegeben, einerseits von der Ostküste bis nach Kalifornien, andererseits von den karibischen Inseln und Mexiko bis nach Feuerland.
Obwohl sie zum Teil politisch programmiert war, spreche ich auch hier von Migration, weil die aus Europa gekommenen Weißen nicht die Sitten und die Kultur der Eingeborenen übernahmen, sondern eine neue Zivilisation gründeten, der sich sogar die Eingeborenen (soweit sie überlebten) angepaßt haben.
Es hat abgebrochene Migrationen gegeben, wie die der Völker arabischer Herkunft bis zur Iberischen Halbinsel. Es hat Formen von programmierter und partieller, aber deshalb nicht minder einflußreicher Migration gegeben, wie die der Europäer nach Osten und Süden (aus der dann die sogenannten »postkolonia-len« Nationen entstanden sind), bei denen die Einwanderer ebenfalls die Kultur der autochthonen Bevölkerung verändert haben. Soweit ich sehe, ist bisher noch keine Phänomenologie der verschiedenen Arten von Migration erstellt worden, aber sicher sind Migrationen etwas anderes als Immigrationen.
Immigration haben wir nur, wenn die Immigranten (die aufgrund einer politischen Entscheidung aufgenommen worden sind) in großer Zahl die Lebensweise des Landes, in das sie einwandern, übernehmen, Migration dagegen haben wir, wenn die Hereinströmenden (die niemand an der Grenze aufhalten kann) die Kultur des Landes radikal verändern.
Heute, nach einem 19. Jahrhundert voller Immigrationen, stehen wir vor ungewissen Phänomenen. In einem Klima großer Mobilität ist es sehr schwer zu sagen, ob bestimmte Phänomene solche der Immigration oder der Migration sind. Zweifellos gibt es einen unaufhaltsamen Strom von Süden nach Norden (aus Afrika und Nahost nach Europa), die Inder haben sich in Afrika 57
und auf den pazifischen Inseln festgesetzt, die Chinesen sind überall, und die Japaner sind mit ihren industriellen und ökonomischen Organismen präsent, auch wenn sie nicht physisch in großen Massen herbeiströmen.
Ist es noch möglich, Immigration von Migration zu unterscheiden, wenn der ganze Planet zum Schauplatz sich
überkreuzender Wanderbewegungen wird? Ich denke, ja:
Immigrationen sind, wie ich schon sagte, politisch kontrollierbar, Migrationen
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