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Vier moralische Schriften

Vier moralische Schriften

Titel: Vier moralische Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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entscheidende Frage: Wie könne er als Nichtgläubiger dem dann doch ganz sinnlosen eigenen Tod einen Sinn geben? Worauf er mir antwortete: »Indem ich vorher festlege, daß ich ohne kirchlichen Beistand begraben werde.
    Dann bin ich nicht mehr da, aber ich habe den anderen ein gutes Beispiel gegeben.« Ich denke, auch Sie können das tiefe Vertrauen in die Kontinuität des Lebens und das absolute Pflichtgefühl bewundern, das sich in dieser Antwort ausdrückte.
    Es ist dasselbe, das viele Nichtgläubige dazu befähigt hat, unter der Folter zu sterben, ohne ihre Freunde zu verraten, oder 48
    andere, sich von der Pest anstecken zu lassen, um die Pestkran-ken zu heilen. Manchmal ist es auch das einzige, was einen Philosophen zum Philosophieren treibt oder einen Schriftsteller zum Schreiben: eine Flaschenpost zu hinterlassen, damit das, woran man geglaubt hat oder was man schön fand, auch von den Nachgeborenen geglaubt oder schön gefunden werden kann.
    Ist dieses Gefühl nun wirklich so stark, daß es eine ebenso klare, ebenso unbeugsame und festverwurzelte Ethik begründen kann wie die derer, die an die geoffenbarte Moral, an das Weiterleben der Seele, an Belohnung und Buße glauben? Ich habe versucht, die Prinzipien einer weltlichen Ethik auf das natürliche Faktum unserer Körperlichkeit zu gründen (das ja als natürliches Faktum auch für Sie Ergebnis eines göttlichen Planes ist) und auf den Gedanken, daß wir instinktiv wissen, daß wir nur durch die Gegenwart anderer eine Seele haben (oder etwas, das an ihrer Stelle steht). Woraus hervorgeht, daß das, was ich eine »weltliche Ethik« genannt habe, im Grunde eine natürliche Ethik ist, die auch der Gläubige nicht verkennen kann. Ist der natürliche Instinkt, zur richtigen Reifung und Bewußtheit seiner selbst gebracht, nicht ein Fundament, das genügend Garantien gibt? Gewiß können wir denken, daß er nicht genug Ansporn zu tugendhaftem Leben ist – »denn
    schließlich«, kann der Nichtgläubige sagen, »wird ja keiner das Böse erfahren, das ich im verborgenen tue«. Aber bedenken Sie wohl: Wer nicht gläubig ist, glaubt nicht, daß ihn jemand vom Himmel herab beobachtet, und folglich weiß er auch, daß es –
    eben deshalb – niemanden gibt, der ihm vergeben kann. Wenn er weiß, daß er Böses getan hat, wird seine Einsamkeit grenzen-los und sein Tod verzweifelt sein. Also wird er lieber, mehr als der Gläubige, die Läuterung durch die öffentliche Buße suchen, er wird die Vergebung der anderen erbitten. Das weiß er im Innersten seines Wesens, und folglich weiß er auch, daß er den anderen im voraus vergeben muß. Wie ließe sich sonst erklären, daß auch die Nichtgläubigen Gewissensbisse verspüren?
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    Ich möchte nicht, daß der Eindruck entsteht, es gäbe einen schroffen Gegensatz zwischen denen, die an einen transzenden-ten Gott glauben und denen, die an kein überindividuelles Prinzip glauben. Ich möchte daran erinnern, daß gerade die Ethik das Thema jenes großen Buches von Spinoza ist, das mit einer Definition Gottes als Ursache seiner selbst beginnt. Nur ist diese Gottheit Spinozas, wie wir sehr wohl wissen, weder transzendent noch persönlich. Dennoch kann auch aus der Vision einer großen und einzigen kosmischen Substanz, in der wir alle eines Tages aufgehen werden, eine Vision der Toleranz und der Güte hervorgehen, gerade weil wir alle am Gleichgewicht und an der Harmonie dieser einzigen Substanz interessiert sind. Und das sind wir, weil wir es in gewisser Weise für unmöglich halten, daß diese Substanz nicht auch durch das, was wir in den Jahrtausenden angestellt haben, irgendwie angerei-chert oder verunreinigt wird. So daß ich zu behaupten wage (nicht als metaphysische Hypothese, nur als zaghafte Konzession an die Hoffnung, die uns nie verläßt), daß man auch in dieser Perspektive das Problem eines irgendwie gearteten Lebens nach dem Tod wieder aufwerfen könnte. Heutzutage legt uns das elektronische Universum nahe, daß es Sequenzen von Botschaften geben kann, die sich von einem physischen Träger zum anderen übertragen lassen, ohne dabei ihre unwiederholbaren Eigenschaften zu verlieren, und die sogar in dem Augenblick, in dem sie den einen Träger verlassen und sich noch nicht auf dem anderen festgesetzt haben, als rein immaterielle Algorithmen weiterzuleben scheinen. Und wer weiß, ob der Tod, anstatt Implosion zu sein, nicht Explosion und neue Ausdrucksform, irgendwo zwischen den Wirbeln des Universums, jener Software

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