Vier Tage im August
welcher Tag.
Was war geschehen, wann, wo…
Zwei Männer kamen langsam auf sie zu. Ein Polizist, er zeigte ihr unaufgefordert seinen Dienstausweis, und ein Inder. Der Polizist setzte sich neben Iris, bat sie um Angaben, stellte ihr Fragen zur Tat. Sie bemühte sich, ihm für die weitere Ermittlung verwendbare Antworten zu geben. Doch ihr Gedächtnis streikte, sie schaute zum Inder auf, der vor ihr stand, als könnte der Mann ihr helfen, als wüsste er genauer Bescheid. Der Inder hatte Iris einen Becher Kaffee mitgebracht, der Inder vom Hotel, sie war in dieser Umgebung dankbar für ein nicht vollständig fremdes Gesicht.
Nach einer langen Stunde öffnete sich die Tür zum Untersuchungszimmer, und begleitet von einer Ärztin und einem Krankenpfleger kam Paul heraus. Seine Hände waren mit Verbänden umwickelt, einen Arm trug er in einer grellroten Schlaufe, und sein Gesicht war das eines alten Mannes, der furchtbare Schläge hatte einstecken müssen.
Doch er ging, Paul Fontana ging auf eigenen Beinen.
Er hatte sich geweigert, im Rollstuhl gefahren zu werden.
Sie wechselten ein paar Worte.
Wir müssen Ihren Mann hierbehalten, unterbrach sie die Ärztin, für 24Stunden, zur Beobachtung; aber ich denke, dass sie Genua morgen verlassen können. Und ganz gewiss muss Ihr Mann zu Hause unverzüglich ins Krankenhaus, in die Handchirurgie, die Hände bereiten uns am meisten Sorgen.
Iris glaubte, ihr Rückgrat knicke ein, das Knochengerüst sei nicht länger bereit, sie aufrecht zu halten, aber sie blieb stehen, ihr Fleisch war erstarrt, so angespannt, dass sie gar nicht niedersinken konnte.
Paul schwieg, willig ließ er sich in ein Zimmer führen.
Der Inder räusperte sich, verbeugte sich leicht und machte ein paar Vorschläge. Er kannte sich in Genua aus, war bereit, Iris zum Schweizer Konsulat zu fahren, es mussten provisorische Dokumente für die Heimreise ausgestellt werden, er bot sich an, für sie einen Flug nach Zürich zu buchen und Iris zu begleiten, um in der Via Garibaldi ein paar notwendige Dinge zu besorgen, für sie und für ihren Mann. Er wollte ihr Geld leihen und stellte sein Handy zur Verfügung.
Iris bedankte sich, lächelte sogar, wollte gleich ihre Kinder anrufen und erschrak, weil der Versuch scheiterte; sie kannte die Nummern nicht auswendig, Emily und Tom waren Nummer zwei und drei im gespeicherten Adressbuch, und das nützte nun gar nichts.
DIE MÄDCHEN STIEGEN AUS DEM REISEBUS , der neben der Kirche mit den berühmten Fenstern parkte. Tom Blume trottete auf sie zu, eine Comicfigur mit einem großen Kopf aus Pappmaschee. Jetzt breitete er die Arme aus. Sein Gesicht ließ an einen Clown denken. Und zugleich an eine Katze. Der läppisch kleine Hut, der zum Kostüm gehörte, rundete das Bild ab. Tom war Kostümläufer. Er verdiente sein Geld bei einer Agentur, die Maskottchen vermittelte.
Die Sonne brannte herunter. Über Toms Scheitel drehte sich ein kleiner Propeller. Er war richtig froh um den Ventilator, der im Hohlraum des Kopfes eingebaut war. Durch einen Sehschlitz im Hals beobachtete er die Mädchen, mondgesichtige Schülerinnen in grünen Faltenröckchen.
Jetzt stand er vor ihnen und verbeugte sich. Alle zückten die Kamera, als hätte er das Zeichen dafür gegeben. Sie wollten ihn unbedingt fotografieren und auch zusammen mit ihm aufs Bild. Ein lustiges Fotomotiv abzugeben, gehörte zum Job. Die Mädchen scharten sich um ihn, er war die gutmütige Mitte, sie plapperten daher, eine schmiegte sich an seine Brust. Tom erriet die Zwitschersprache. Ihm gefielen schwarze Augen ohne Lidfalte. Um die Mädchen zum Lachen zu bringen, schaltete er das Musikabspielgerät ein und tanzte einen Shuffle vor dem erhabenen Fraumünster. Gerade beim Lachen sahen alle Mädchen gleich aus. Einige kreuzten dabei die Beine und klemmten die Schenkel zusammen.
Bevor sie dem Reiseleiter in die Kirche zu den Glasmalereien von Chagall und Giacometti folgten, schenkte Tom ihnen Heilkräuter-Bonbons und verteilte den Flyer des italienischen Restaurants, das ihn gebucht hatte.
Good food, warb er mit seiner Comicstimme, very good food.
Die Japanerinnen kicherten. Sie hatten eine weiße Haut, wie geschälte Litschis.
Der Clown verbeugte sich tief: Sayonara.
Nach dem Job. Tom öffnete die Knöpfe seiner karierten Jacke und löste das von einer Halskrause verdeckte Schultergestell, auf dem der Kopf der Figur saß. Er schnallte die Konstruktion ab und stellte das Ding auf den Boden. Es reichte ihm über die
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