Vier Tage im August
erholsam wie der tiefe Schlaf in der Nacht, erzählte Felix.
Und wie hat man das herausgefunden?
Man hat den Vögeln Elektroden eingepflanzt, die ihre Hirnströme messen. Wenn sie in den einseitigen Schlaf gefallen sind, ähnelt ihre Hirnaktivität derjenigen von Säugetieren, die tief und traumlos schlafen. Die andere Seite ist hellwach.
Deine Mutter kann das bestimmt auch, scherzte Tom, darum ist Jara eine so tolle Polizistin. Sie hat immer ein waches Auge.
Auf der kurzen Liste der Menschen, die Tom liebte, stand Felix ganz weit oben. Der Junge wusste das. Tom war immer für ihn da. Seine Liebe war dem Jungen, der nun den Stimmbruch hatte und eine Brille mit Gläsern wie Flaschenböden trug, manchmal sogar ein wenig peinlich; trotzdem fand Felix es total wichtig, dass Tom ihn wie seinen eigenen Sohn behandelte. Doch sobald Felix das Gefühl hatte, Tom spiele sich als sein Vater auf, stellte er die Dinge klar.
Nein, frotzelte Felix, Tom ist nicht mein Vater, dafür ist er doch zu jung, Tom ist der Lover meiner Mama.
Tom hielt an, stellte den Motor ab und stieg aus.
Darf ich fahren?
Der Junge setzte sich hinter das Steuerrad. Er hätte jetzt mit niemandem getauscht. Anschnallen, die Spiegel richten, Anzeigen prüfen. Punkt um Punkt hakte er ab. Tom hatte ihm das beigebracht. Sein Herz klopfte, er war nervös, saß nicht in einer alten Rostlaube wie bisher, sondern zum ersten Mal im fabrikneuen Lancia. Da war es bestimmt klug, zunächst einmal alle Knöpfe, Tasten, Hebel und Pedale zu prüfen. Leerlauf einlegen. Zündung einschalten. Handbremse lösen. Blinker betätigen. Funktionskontrolle. Licht, Scheibenwischer, Hupe.
Felix hupte, zögerlich…
IVO BLUME PACKTE DA S NOTEBOOK und ein Handtuch in den Rucksack, füllte eine Flasche mit einem isotonischen Getränk, holte sein Mountainbike aus dem Schuppen, setzte den Helm auf und zurrte die Bänder unterm Kinn mit Sorgfalt fest.
Er hatte eine Verabredung.
Bevor er losradelte, sperrte er seine Hunde in den Zwinger. Auch Geoff, den Trüffelsucher. Der lebhafte Rüde wollte stets mit, wenn Ivo wegfuhr, heulte und bellte, aber es war zu heiß. Der Hund war ein begeisterter Läufer. Leider fehlte ihm die Ausdauer. Die Schwäche beruhte auf einem mangelhaften Wärmeausgleich. Ein Hund hatte zu wenige Schweißdrüsen, er sonderte nur über die Zunge und die Ballen Schweiß ab. Geoff würde Ivo bei dieser Temperatur bald nicht mehr folgen können und sich dann im Wald herumtreiben.
Ein ganz gewöhnlicher Nachmittag. Sommer halt. Geoffs beleidigtes Gekläff und das heisere Jaulen der Hündinnen. Perfekt, wie ein genau eingepasster Spiegel, füllte der See den Rahmen aus, den die Landschaft ihm zugestand. Die Luft waberte vor Hitze. Oder erlag Ivo Blume einer Augentäuschung, sollte er sich endlich eine Brille anfertigen lassen?
Ivo nahm sich Zeit, ließ das Auto stehen, nutzte lieber das Mountainbike, rollte schnell am See entlang, das schiere Vergnügen. Das Wasser glitzerte, hier und dort sprang ein Fisch. Waldeslust; warum nur fiel gerade ihm, einem Techniker, dieses seltsame Wort ein. Ein roter Milan kreiste über den Wipfeln, zeigte seine Meisterkür. Es gab nur wenige Dinge, die Ivo eine derart große Befriedigung verschafften wie eine Ausfahrt mit dem Rad oder dem Skiff. Er war süchtig nach Bewegung und musste seinen Körper ständig am Laufen, fortwährend in Betrieb halten und tat dies am liebsten im Freien, auf der Straße durch den Wald, auf dem blanken See.
Ivo kniff die Augen zusammen. Der See schillerte in einem Blau, das zwei Stufen dunkler als die Farbe des Himmels war. Ivo kostete die Anstrengung aus, er verbrauchte Kraft, er liebte es, sich zu verausgaben, nahm Leiden in Kauf, das Brennen der Muskeln, das Stechen in der Lunge, schmerzendes Zahnfleisch, bis sein aufgeputschter Körper nicht anders konnte, als 5- HT auszuschütten, das Glückshormon.
Das Haus, Glas und Stahl, geschliffener Beton, einstöckig, elegantes Flachdach, war unverkennbar. Niemand konnte das moderne Gebäude übersehen. Große alte Bäume überragten es. In ihren mächtigen Kronen waren einzelne Blätter bereits herbstlich gefärbt.
SWISS - SURFACE
Die Firma war auf Oberflächen spezialisiert.
Bei Swiss-Surface arbeitete Ivos Freundin. Nadja hatte eine ganz eigene, mollige Schönheit. Wenn sie lachte, sah man, dass ein Eckzahn leicht schräg stand. Nadja war die Geschäftsführerin. Ivo hoffte, seine Freundin zu sehen. Nadja würde sich freuen, daran zweifelte er
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