Vier Tage im August
ließ, weil er den Jungen erkannte und der Clown außer Gefecht war.
Nicht schießen, rief Felix, der Clown ist Tom.
FELIX LIESS ES NICHT ZU , dass Ivo Blume den Hund mit der Armeepistole erschoss. Falls das schwer verletzte Tier überhaupt noch am Leben war. Der Junge drängte sich an Ivo vorbei, um als Erster in den Zwinger zu gelangen, kniete sich neben Geoff in den Kies und schützte ihn mit seinem Körper.
Erlösen, spinnst du, schrie er.
Die Hände tastend auf Geoffs Brustkorb, auf das mit Blut getränkte Fell gelegt, suchte Felix den Puls.
Er lebt, Geoff braucht einen Tierarzt.
Der Junge stellte den Puls, der eher ein unentschiedenes Flackern denn ein gefestigter Herzschlag war, fast triumphierend fest.
Nun hatte Tom keine Wahl.
Sofort losfahren, jede Minute zählt, schrie der Junge und winkte Tom in den Zwinger.
Tom hatte das bunte Kostüm ausgezogen; der Kopf mit dem Loch lag vor seinen Füßen, das Missverständnis schien ausgeräumt. Zitternd vor Erschöpfung kniete er neben dem Haufen abgelegter Kleider, fühlte sich wie getroffen, verwünschte seinen unbeherrschten Vater und hätte viel dafür gegeben, die letzten Minuten vergessen zu dürfen. Gelang ihm dies nicht, würden die Schüsse ihn bis in alle Ewigkeit verfolgen. Mit dem Handrücken wischte Tom Schweiß von der Stirn.
Ivo verharrte vor dem Zwinger, in dem die toten Hündinnen lagen. Der helle Kies blendete. Die Gittermaschen glänzten. Der Anblick der Kadaver war niederschmetternd. Ein Ungeheuer war angetreten, um ihn zu vernichten. Die Hunde taten ihm leid, unschuldige Opfer. Ivo Blume hatte doch einen Pakt mit der Vernunft geschlossen. Oder etwa nicht? Wer hatte dieses Abkommen aufgekündigt? Ivo stand da, bestürzt über sich selbst und die Welt, komisch im Radfahrerdress, den nutzlosen Schutzhelm auf dem Kopf, eine immer noch mit vier Patronen geladene Pistole in der Hand.
Er beobachtete, wie behutsam Felix den verletzten Geoff zum Auto trug. Der Junge wusste, was zu tun war, er handelte besonnen, während Ivo um sein Gleichgewicht rang. Die Pistole war ein nutzloses Gewicht am herabhängenden Arm, es erstaunte ihn selbst, dass sie ihm nicht schon lange aus der Hand gerutscht war. Ihm war schlecht. Er spürte einen Sog, ein Wirbel zog ihn nach unten. Ivo übergab sich. Das verschaffte ihm ein wenig Erleichterung. Das Schwindelgefühl hielt an. Da drängte noch Galle nach. Vor seinen Augen glitzerten Punkte in einem dichten Schleier. Er wankte. Auf keinen Fall durfte er das zulassen, auf keinen Fall durfte er jetzt loslassen und stürzen. Er riss sich zusammen, trotzte dem starken Bedürfnis, in die Knie zu gehen, zu fallen, zwang sich zur Konzentration auf das Geschehen rund um den Lancia herum. Bis er wieder klar sah: Tom, den er beinahe getötet hätte, und Geoff, der im Sterben lag, und Felix, der nun mit Umsicht handelte, der schmalbrüstige Schlacks, den er mochte, obwohl er es nicht geschafft hatte, ihn für den Rudersport zu begeistern.
Über dem See und dem Wald waberte die heiße Sommerluft, ein paar Krähen lösten sich aus dem Blau und segelten geräuschlos herab. Im Baum neben dem Hundezwinger ließen sie sich nieder; die Vögel hatten die Kadaver entdeckt.
Ivo nahm das Handy aus der Brusttasche seines Radfahrerdresses und rief die Polizei an.
DEM JUNGEN GING ALLES ZU LANGSAM . Er hatte Geoff auf die hintere Sitzbank gebettet, die Tür geschlossen, und während Tom das Kostüm und den Trümmerkopf des Clowns im Kofferraum verstaute, war er auf der Fahrerseite eingestiegen. Er schnallte sich an. Sie durften jetzt keine Zeit verlieren. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Tom sollte endlich vorwärts machen. Felix schaute auf die Uhr, schnitt eine Grimasse, warum beeilte sich Tom denn nicht. Wieder zog Felix die Unterlippe ein, hielt sie mit den Schneidezähnen fest. Das Warten machte ihn zappelig, die Sekunden liefen gnadenlos schnell. Felix schob die Mütze ein wenig zurück und blickte über die Schulter auf Geoff.
Der Hund schien friedlich zu schlafen. Sein Anblick rührte ihn. Aber Geoff könnte ebenso sanft aussehen und dabei tot sein. Wenigstens sickerte kein Blut mehr aus den Wunden. Es roch nach Hund. Nach Atem und Fell. Vielleicht war es schon der Gestank des Todes. Felix konnte das nicht unterscheiden und wollte sich schon gar nicht festlegen.
Tom war nicht in bester Verfassung, es ging ihm dreckig. Kraftlos klappte er die Hecktür zu, er musste zweimal ansetzen, und stieg endlich ein. Bleiches
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