Vier Tage im August
nicht, hätte aber keine Zeit für ihn, das war ihm klar. Sie würde Ivo auf die heiße Schläfe küssen, dort wo der Puls pochte, er würde die Hand auf ihren kühlen Nacken legen, während sie bereits wieder telefonierte.
Nadjas Audi, ein weißes Cabrio, parkte im Schatten eines Ahornbaumes von beträchtlicher Höhe. Ivo lehnte sein Fahrrad an den Stamm. Ein Zitronenfalter flatterte heran, landete auf dem Sattel. Die Oberseite der Flügel war nur kurz zu sehen, er klappte sie sofort zusammen. Am Gymnasium hatte Ivo einen Zitronenfalter mit Chloroform töten und auf ein Brett aufspießen müssen. Das Präparat hing noch jetzt in seinem Büro. Neben dem Poster von Emily. Eine Montage, auf der alle Phasen eines Sprungs festgehalten waren, den sie wie ferngesteuert ausgeführt hatte. Nadjas Assistentin mischte Ivo eine Apfelschorle. Sie lächelte. Er nahm einen Schluck und sah sich plötzlich mit den Augen der jungen Frau als ein in die Jahre gekommener Mann in unpassender Bekleidung. Gewiss wirkte er kurios im hautengen, schwarzen Radfahrerdress, das seine Muskulatur betonte, ihn aber nicht jünger machte.
Swiss-Surface forschte auch im Bereich der Nanotechnologie. Ivo hatte den Direktor gebeten, die neuen Anzüge der Schwimmer zu untersuchen und zu prüfen, ob das Material auch für Boote taugte.
Eine Glatthaut, mit Laser verschweißt und verklebt.
Der Direktor fuhr den Computer hoch.
Der Stoff ist extrem wasserschlüpfrig, wusste Ivo, die Schwimmer waren viel schneller, wenn sie die neuen Anzüge trugen. Ivo öffnete seinen Laptop, ich habe das selbst ausprobiert, du schwimmst in einer anderen Dimension.
Der Reibungskoeffizient beträgt nur 0.032, sagte der Direktor.
Er scrollte zu einer Tabelle.
1,6 ist der Wert für die menschliche Haut.
AUF DEM WEG NACH HAUSE schonte sich Ivo nicht. Er war von den Anwendungsmöglichkeiten der Nano SCS -Beschichtung beflügelt, der Direktor hatte ihn ermutigt.
Es gab nichts, das nicht verbessert werden konnte.
Daran glaubte Ivo felsenfest, und weil er die aktuelle Technik infrage stellte, war es ein Zukunftssignal. Er benötigte jedoch einen Kredit. Eine erkleckliche Summe. Swiss-Surface musste die Nano-Partikel auf den Bootskörper aufdampfen. Das konnte ohne vorgängige Experimente nicht gelingen. Ivo überlegte, Elmar Brink anzufragen. Brink, ein reicher Mann von gerade noch erträglicher Großspurigkeit, hatte beste Bankverbindungen. Er fackelte nie lange. Ivo plante, Elmar vorzuschlagen, das neue Boot Brink und Blume zu taufen; in Erinnerung an ihre Erfolge. Elmar und Ivo waren Partner und Freunde gewesen im Olympiaboot. Noch heute wurden sie als Legenden und Vorbilder verehrt, darauf waren sie stolz, und falls einer von ihnen stürbe, wäre sein Tod der Tagesschau einen ausführlichen Bericht wert.
Der unternehmerische Elmar Brink hatte sich nie viel aus Traditionen gemacht. Jede Zeit entwickelt neue Materialien und Methoden. Das war sein Credo. Das Vergangene ist vergangen. Ivo teilte diese Meinung. Das Vergangene ist ein Schritt in der Entwicklung gewesen, ein Kapitel im Ge schichtsbuch des unaufhaltsamen, technischen Fortschritts.
Wir läuten eine neue Epoche ein!
So gedachte Ivo, Elmar die Idee zu verkaufen.
Die Nano Beschichtung ist eine Innovation.
Wir bauen das schnellste Boot aller Zeiten.
Etwas stimmte nicht. Etwas fehlte im gewohnten Bild. Das Auto, sein grauer Kombi, parkte vor dem Haus, jedoch mit platten Reifen. Und es war viel zu still, Geoff schlug nicht an, seine Hunde begrüßten ihn nicht. Ivo argwöhnte, dass in der Stunde seiner Abwesenheit etwas Außerordentliches vorgefallen sein musste.
Mit dieser Vorahnung stieg Ivo vom Rad. In den gesunden Schweiß, der beim Sport immer strömte, mischte sich ein Dunst, den er nicht kannte, eine Art Schweiß, der kälter war und anders roch und, so kam es ihm vor, von einem anderen Drüsensystem ausgeschieden wurde. Er hatte Angst. Ivo stand neben dem Rad, stützte sich auf dem Lenker ab und wartete verspannt auf eine die Ungewissheit lösende Bewegung; einen Befreiungsschlag.
Ivo ließ das Rad los, es fiel um, er eilte auf sein Haus zu.
Vor dem Zwinger ging er in die Hocke. Jetzt wusste Ivo nicht, wie sein Gesicht aussah, ob er die Zähne bleckte oder die gummiartigen Lippen zusammenpresste, und nicht, ob er weinte. In einer Blutlache lagen die beiden Hündinnen und Geoff. Er richtete sich auf, trat in den Zwinger, bebte, schluckte, sein Herz hämmerte.
Jemand hat deine Hunde getötet.
Jemand
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