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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
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die Neuigkeiten zur Einsatzdauer loszuwerden. Meine Freundin reagierte gefasst.
    Das hab ich mir schon längst gedacht, sagte sie trocken. So lange, wie die euch keine Info gegeben haben.
    Wir sprachen noch lange miteinander, ich hatte sogar das Gefühl, sie wollte mich trösten. Mir war es inzwischen egal, dass ich jeden Monat drei- bis vierhundert Euro Telefonkosten für die teuren Verbindungen aufbringen musste. Es war mir wichtig, so oft wie möglich ihre Stimme zu hören.
    Nach einer unruhigen Nacht wachte ich früh auf. Purzel lag über mir im Stockbett und schlief meistens länger als ich. Ich genoss die Ruhe im Container und lag eine Weile auf der weichen Matratze. Meine Gedanken tanzten. Ich schrieb eine Textnachricht an meine Freundin und legte dann das Handy wieder zur Seite. Als ich langsam aufstand, öffnete Purzel schläfrig die Augen.
    Was ist denn mit dir los, sonst schläfst du bis mittags, bemerkte ich grinsend.
    Er gähnte.
    Hast du von dem Erdbeben heute Nacht nichts mitbekommen?, wollte er wissen.
    Wir hatten ein Erdbeben?, fragte ich erstaunt.
    Ja, und ich bin davon wach geworden. Das Bett hat leicht gewackelt und ich hab erst gedacht, dass du dir einen runterholst, meinte er voller Überzeugung. Bis ich geschnallt habe, dass das ein Erdbeben ist, sind ein paar Minuten vergangen, in denen ich mich nicht getraut hab, dich zu stören.
    Ich musste laut lachen. Du hast wirklich gedacht, dass ich mir einen runterhole?
    Jetzt musste auch er lachen.
    Stimmt, dafür haben wir ja eigentlich die sexy time eingerichtet, wo der andere nicht in den Container darf, deshalb war ich auch erst so verwundert. Aber dann dachte ich, naja, wenn ers grade braucht, sagte er grinsend.
    Es war schön, mit Purzel reden zu können. Andere hätten vielleicht verlegen reagiert. Mit ihm war es entspannt, weil er völlig normal über völlig normale Dinge mit mir sprach.
    Wie gehts deiner Freundin?, wollte er wissen.
    Ach, es ist ein Auf und Ab, antwortete ich ein wenig betrübt. Sie hat diese neuen Freunde kennengelernt, und ich hab manchmal das Gefühl, dass sie nicht gerne mit mir telefoniert. Dann ist sie wieder total froh, mich zu sprechen.
    Nimm dir das nicht so zu Herzen, erklärte Purzel. Für unsere Partner muss das alles so schwer sein, das können wir uns gar nicht vorstellen. Es ist doch gut, dass sie neue Leute kennenlernt, dann ist sie wenigstens abgelenkt. Ich rufe nicht so oft zu Hause an wie du, aber ich hab auch das Problem, dass meine Freundin manchmal gar nicht telefonieren will. Sie sind emotional mit der Situation überfordert. Wir hier können uns wenigstens ablenken und müssen nicht ständig an den Partner denken.
    Abends saß ich mit Muli an der kleinen Bar im Lummerland, der Betreuungseinrichtung im Feldlager. Im Hintergrund lief leise Musik, einige Soldaten spielten Billard, andere saßen auf den abgewetzten Sofas und unterhielten sich. Vor Muli stand eine Dose Red Bull, ich hatte mir eine kühle Wasserflasche aus einem der Kühlschränke genommen.
    Du lebst viel zu gesund, bemerkte Muli.
    Ach, dafür schieb ich dich dann später durchs Altersheim, antwortete ich augenzwinkernd. Wir prosteten uns zu.
    Auf Golf eins, sagte ich.
    Auf gute Kameraden, sagte er.
    Wir tranken einen Schluck.
    Ist es nicht erstaunlich, begann ich zu erzählen, dass bisher niemand ernsthaft verletzt wurde?
    Wir ham halt Glück. Muli sagte es beiläufig.
    Ich glaube nicht an Glück, gab ich zu bedenken. Glück, Unglück, Gott, Schicksal. Unfug. Die haben ihren Allah, wir haben unseren Gott, wo ist der Unterschied?
    Muli blickte mich interessiert, aber etwas verständnislos an.
    Du weißt, dass ich nicht gläubig bin, erklärte er. Das ham sie uns in der DDR aberzogen. Dabei zwinkerte er mir zu und fuhr fort: Aber unsere christlichen Werte sind doch die Grundlage unserer Gesellschaft.
    Ja, pflichtete ich ihm bei. Aber brauch ich ’n zweitausend Jahre altes Buch, um zu wissen, dass ich andere Menschen achten muss? Dass ich nur im Notfall Gewalt ausüben sollte? So was sagt mir doch mein gesunder Menschenverstand.
    Er überlegte kurz.
    Ja, aber dein Verstand ist von unserer Gesellschaft geprägt. Und die ist christlich.
    Aber auch nur, solange die Menschen was zu meckern haben, fiel ich ihm ins Wort. Wenns den Leuten gut geht, interessiert sie Gott einen Scheiß. Wenn ich immer nur anfange zu beten, wenn ich in Not bin oder weil Weihnachten ist, kann ich es auch gleich sein lassen. Die Religion muss immer nur als

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