Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Gedanken wechselten zwischen der Sorge um einen Angriff und der Erkenntnis, dass uns die Männer vermutlich auch nicht sehen konnten. Aber auch wenn wir uns vorsichtig bewegten, verursachten wir, dreißig Männer mit Waffen und schwerer Ausrüstung, gehörigen Lärm. Während wir uns mühsam zwischen der Ruine und den Gräben ringsum hindurchschlängelten, waren die Fahrzeuge schon fast am Doppelculvert angekommen. Der Plan des Chefs geriet ins Wanken, denn eigentlich sollten wir den Schutz an deren Flanke sicherstellen, aber wir waren immer noch auf dem Weg in unseren befohlenen Bereich. Mittlerweile hatten wir die Umfassungsmauer eines Feldes erreicht. Sie zu umgehen kostete wertvolle Minuten. Dann stießen wir auf eine Unterführung mit Abwasserrohr, die wir erst vorsichtig untersuchen mussten. Als wir in der Dunkelheit weiterstolperten, war erneut kostbare Zeit vergangen. Je länger die Fahrzeuge vor dem Doppelculvert auf uns warten mussten, umso mehr machten sie sich zur Zielscheibe. Ich klappte nervös mein Nachtsichtgerät hoch und runter, konnte mich aber kaum auf die Lichtverhältnisse einstellen.
An einer Schonung standen die Bäume wie Zinnsoldaten nebeneinander. Muli befahl uns zu halten. Während wir uns in alle Richtungen drehten und auf den Boden hockten, verschwand er mit Mica zwischen den Bäumen.
Nach ein paar Minuten zwängte sich Muli an einer anderen Stelle wieder aus dem knackenden Dickicht und kam gebückt auf mich zu.
Mica wartet weiter vorne, führe die Männer einzeln dorthin, wies er mich an.
Noch ehe ich fragen konnte, wohin genau ich laufen sollte und wie weit das Ziel entfernt lag, war Muli wieder zwischen dem Geäst verschwunden. Ich gab TJ und Jonny ein Zeichen und tapste los. Die jungen Bäume waren dünn und zierlich, trotzdem spannten sie einen Schirm der Dunkelheit über uns. Schon nach kurzer Zeit konnte ich den Pfad nur noch erahnen und stolperte wütend voran.
Ich hasste diese Nachteinsätze. Ich hasste es, nichts sehen zu können. Ich hasste es, wenn man mir nicht genau sagte, wohin ich zu gehen hatte, mich aber trotzdem losschickte. In diesem Moment fühlte ich mich überfordert und wünschte mich auf mein hartes, unbequemes Feldbett zurück. Ging ich überhaupt noch in die richtige Richtung? Wie weit waren wir noch von den Dörfern im Norden entfernt, die voller Feinde waren?
Plötzlich tauchten zwei Gestalten vor mir auf. Ich konnte sie im ersten Moment nicht genau erkennen, aber sie schienen bewaffnet zu sein. Ich blieb ruckartig stehen und hockte mich hin. TJ und Jonny kämpften sich ein paar Meter hinter mir durchs Unterholz und blieben ebenfalls stehen, als ich ihnen ein Zeichen gab. Angestrengt versuchte ich etwas zu erkennen. Aber ich konnte nur undeutliche, schwarze Umrisse ausmachen. Zwei schemenhafte Flächen, schwarze Schatten zwischen den Ästen. Langsam hob ich mein Gewehr.
Los doch, bewegt euch ein bisschen, dachte ich. Damit ich euch erkennen kann.
Nichts passierte. Zum Glück blieben TJ und Jonny ruhig. Hatten sie die beiden auch gesehen? Ich wagte nicht, mich umzudrehen, um keinen Lärm zu machen. Bange Sekunden verstrichen, und ich fragte mich, ob ich beide auf einmal erwischen könnte, wenn es die zwei waren, die von den Scharfschützen gemeldet worden waren. Langsam drückte ich mein Gewehr in die Schulter, bereit, es abzufeuern. Plötzlich bewegte sich der Rechte. Langsam wendete er seinen Kopf und drehte sich nach links.
Wo bleiben die denn?, hörte ich ihn flüstern.
Erleichtert atmete ich auf. Noch nie war ich so froh gewesen, Worte in meiner eigenen Sprache zu hören. Es war Mica, der mit Muli gesprochen hatte. Irgendwie hatte ich den richtigen Weg gefunden.
Drei Mann von hinten, zischte ich durch die Dunkelheit.
Es dauerte noch einige Zeit, bis ich die ganze Gruppe durch die Schonung geführt hatte. Schließlich gingen wir an einer Ruine in Stellung, die sich hinter dem Wäldchen befand.
Da hinten irgendwo muss der Doppelculvert sein, sagte Muli und deutete in Richtung unseres Zielortes.
Endlich konnte ich durch das Nachtsichtgerät die Fahrzeuge erkennen. Sie standen mit laufendem Motor auf der Straße.
Auf einmal sackte Mica neben mir zusammen. Er lehnte zusammengekrümmt an einer flachen Lehmmauer und presste seine Hände auf den Bauch. Muli war schon bei ihm.
Was is los?, wollte ich wissen.
Mir is so schlecht, mein Magen … Alles dreht sich.
Selbst mit dem Rotlicht meiner Taschenlampe konnte ich sehen, dass es ihm beschissen
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