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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
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aufging und das Plateau noch nicht von Sand erfüllt war. Das Tal unter mir lag im staubigen Dunst verborgen. Hier oben dagegen war die Luft klar und der Morgen in seiner Stille und Schönheit überwältigend. Als ich durch die gepanzerte Dachluke unseres Dingos ins Freie kletterte, war gerade der erste hellblaue Streifen am Horizont erschienen. Bald mischte sich ein dunkler Rotton dazu. Ich lehnte mich zurück und ergab mich diesem umwerfenden friedlichen Augenblick. Die Ruhe der Wüste, der stille Morgen mit seinen am Himmel funkelnden Boten spendeten einen behaglichen Trost. Es schien, als wollte die Natur dem Menschen beweisen, dass jedem Tag ein neuer Anfang innewohnte. Irgendwie wollte ich nicht glauben, dass dieses in seiner rauen Schönheit so vielseitige Land keine Hoffnung haben sollte.
    Sobald es heller wurde, konnte ich ohne Nachtsichtgerät den Friedhof überblicken. Die langen Schatten der Grabhügel verschwanden, je höher die Sonne stieg. Zwei neue Erdhaufen waren dazugekommen. Sie waren gleich groß und nicht besonders lang. Als es hell genug war, nahm ich das Fernglas in die Hand. Irgendetwas schien auf einem der Gräber zu liegen. Ein kleiner Fetzen, vielleicht eines der Tücher, mit dem hier die Gräber geschmückt wurden. Als ich das Fernglas schärfer stellte, hielt ich vor Schreck inne. Ungläubig starrte ich durch das Glas, während es mir eiskalt den Rücken herunterlief. Es dauerte einen Moment, bis ich mich aus meiner Starre lösen konnte. Ich kniff die Augen zusammen und schaute noch einmal gebannt hin. Im Licht des Morgens lagen die Grabhügel scheinbar friedlich da. Von nirgendwoher war ein Laut zu hören, niemand sah, was ich gerade entdeckt hatte. Wie vom Donner gerührt betrachtete ich den Gegenstand, der wie eine drohende Mahnung in unsere Richtung wies.
    Hey, Wachwechsel.
    Mica stieß mich von unten an und riss mich aus meinen Gedanken. Ich zog die Beine nach oben und setzte mich auf das Dach. Als Mica heraufkletterte, reichte ich ihm das Glas. Er gähnte und nahm es widerwillig, dann stieß ich ihn an und wies ihm die Richtung. Plötzlich war auch er hellwach.
    Das gibt’s doch nicht, rief er. Diese Dreckskerle.
    Seine Augen funkelten.
    Was ’n los bei euch?, wollte Muli wissen und stieß die Tür auf.
    Auf dem Grab, sagte ich mit zusammengepressten Lippen. Ein Torwarthandschuh.
    Am Abend saß ich nachdenklich auf meinem Feldbett im Polizeihauptquartier. Dämmerlicht erfüllte den Raum. TJ entdeckte mich und setzte sich dazu. Wir schwiegen. Irgendwann sah ich ihn an.
    Mir will das nicht in den Kopf gehen, gestand ich. Einen Augenblick lang keimt Hoffnung auf, ich sehe etwas Schönes und freue mich, hier zu sein. Und im nächsten Augenblick, als würde jemand meine Gedanken lesen und mir einen Dämpfer verpassen wollen, passiert so eine Scheiße. Es ist zum Kotzen! Meinst du, die ham Smokey und Schieli getötet, weil sie unsere Geschenke angenommen haben?
    Er sah mich an und schwieg.
    Ich habe auch noch nie etwas so Widersprüchliches gesehen wie dieses Land, entgegnete er schließlich. So viel Leid, so viel Armut. Trotzdem immer wieder auch Schönes. Weißt du, was vorhin passiert ist? Ein Mann kam ins Polizeihauptquartier. Mit einer Schusswunde.
    Ich horchte auf.
    Er wollte, dass wir ihm helfen. Der Doc hat ihn versorgt und das Projektil aus dem Arm geholt. Das gleiche Kaliber, das wir benutzen. Angeblich ein Querschläger, berichtete TJ. Aber einer der Polizisten hat ihn wiedererkannt und als Taliban bezeichnet.
    Also muss Mica das nächste Mal besser oder schlechter zielen, bemerkte ich mit ironischem Unterton.
    Ach, die soll’n sich von mir aus alle zum Teufel scheren, brummte TJ.
    Ich betrachtete sein Gesicht. Er wirkte müde. Ich erkannte die gleiche Anspannung, die auch ich spürte.
    Du siehst nicht gut aus, sagte ich vorsichtig.
    Fühl mich auch nicht so, antwortete er zögerlich. Und dazu hab ich auch noch so beschissene Zahnschmerzen. Die bringen mich noch um.
    Alter, warum gehst du nicht zum Arzt?, wollte ich aufgeregt wissen.
    Jetzt, wo Kruschka weg ist und Simbo bei uns? Wir sind sowieso zu wenig Leute, gab TJ zurück.
    Ich machte mir Sorgen. Simbo hatte zu lange nichts von seinem Streit mit Nossi erzählt. TJ wirkte nervlich angeschlagen und hatte Zahnschmerzen, und mir bereiteten die Gefechte Probleme. Wie stand es um die anderen? Mica war zwar stiller geworden, machte aber weiter wie gewohnt seine Arbeit hervorragend. Und Simbo schien mit jedem Gefecht

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