Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Afghanistan war er in unsere Kompanie integriert worden, um gemeinsam mit uns diesen Einsatz anzugehen. Als schließlich unsere Schwesterkompanie aus Deutschland hier eintraf, wurde er dort eingeteilt und fuhr gemeinsam mit ihnen zu unserer Ablösung nach Baghlan. Jederzeit bereit, mit seinen Händen ein Leben zu retten, war er durch die Hand eines Menschen getötet worden.
Wieder sah Muli mich an.
Ich öffnete schwerfällig den Mund.
Als ob er meine Frage vorausahnte, sagte er langsam: Es war ein Selbstmordattentäter. Er hatte um Hilfe gebeten und dann die Bombe gezündet.
Für Florian wurde ein kleiner Gedenkraum aufgebaut, wo sein Bild zusammen mit einem Kondolenzbuch auslag und wo jeder hingehen konnte, um von ihm Abschied zu nehmen.
Den ganzen Tag über riss die Schlange der Wartenden nicht ab. Den ganzen Tag über wagte ich es nicht, den Raum zu betreten. Ich fühlte mich, als wäre ein Teil von mir herausgerissen worden. Ein Teil, der niemals wieder zurückkehren würde. Ich war sicherlich nicht sein engster Freund gewesen. Andere hatten ihn viel besser gekannt. Aber niemals zuvor hatte ich so sehr das starke Band gespürt, das uns alle hier verband. Als Kameraden, als Freunde, als Menschen.
Als ich endlich den Mut fand, zu Florian zu gehen, war es bereits dunkel. Ein merkwürdiges Gefühl durchzog mich. Ich hatte die Dunkelheit immer gehasst, fühlte mich in ihrem Schatten nicht wohl. Jetzt schenkte sie mir die Geborgenheit, die ich brauchte. Von ihr umschlossen und geschützt, mit zitternden Knien und pochendem Herzen folgte ich ihr durch das Lager. In meinen Ohren rauschte es. Ganz so, als ob mein Kopf keinen klaren Empfang mehr hatte, schwamm ich durch die Nacht.
Zwanzig Meter vor dem Gedenkraum blieb ich noch einmal stehen und sammelte mich. Schließlich fasste ich mir ein Herz und ging mit langsamen Schritten weiter. Vor der kleinen, nach vorne offenen Holzhütte standen zwei Soldaten. Es war die Ehrenwache, die dort für Florian stand. Ein kleiner Stuhl stand daneben. Sonst war niemand da.
Die beiden Soldaten wurden von Fackelschein erleuchtet. Beim Näherkommen erkannte ich ihre Gesichter. Es waren ausgerechnet TJ und der neue Oberleutnant. Ich zögerte einen Augenblick. Zwei Unbekannte wären mir lieber gewesen. Aber ich war wegen Florian hier und trat schließlich schweigend vor die kleine Hütte. Sein Bild stand aufrecht auf einem weißen Tuch. Er lächelte. Unsere Fahne hinter dem Foto zeigte die Farben, für die Florian in dieses Land gekommen war und das ein Teil von ihm niemals wieder verlassen würde. Das Kondolenz-Buch lag aufgeschlagen davor. Sein lebloser, zerfetzter Körper befand sich in irgendeinem Kühlcontainer. Morgen würden wir ihn verabschieden, wenn sein Sarg zum Hubschrauber gefahren wurde und wir alle am Rand Spalier standen. Dieser Körper war nicht mehr von Bedeutung. Denn ich spürte, dass Florian trotzdem hier war.
Ich setzte mich auf den kleinen Stuhl und atmete tief ein. Dann griff ich nach der Gitarre, die ich den ganzen Weg hierher getragen hatte.
Es fiel mir nicht schwer zu beginnen. Während ich die leisen Akkorde spielte und anfing, dazu zu singen, war ich völlig allein vor seinem Foto. Eine tiefe Ergriffenheit umfing mich, ich fühlte erneut das starke Band der Kameradschaft. War von ihm gefangen und fühlte mich doch seltsam befreit. Als ich die letzten Akkorde spielte, saß ich noch einen Moment lang einfach nur da und blickte völlig in mich gekehrt das Foto an.
Ich empfand es irgendwie nicht als Heldenverehrung, dort zu sein. Er war nicht als Held gestorben, sondern weil er seine Pflicht erfüllte. Und die hatte er sich so wie wir alle selbst auferlegt.
Eine Träne lief über TJs Wange. Ich wünschte, ich hätte ihm das ersparen können, aber es war meine Art, mich von einem Kameraden zu verabschieden. Und letztendlich war es gut gewesen, dass TJ dort stand. Weil er als Freund für mich da war. Und jetzt über Florian wachte. Das gab mir ein gutes Gefühl.
Dann waren die letzten Akkorde verklungen.
Als ich aufstand, schien Florians Schatten von mir zu gleiten, mich loszulassen. Leise zu verschwinden.
Ich trat vor das Foto. Erwiderte sein Lächeln. Und salutierte.
VERLUSTE
Nachdem wir Florian mit einer Trauerfeier verabschiedet hatten, wurde sein Sarg zum Hubschrauber gefahren. Die Melodie des Trompeters begleitete ihn und mir wurde heiß und kalt zugleich. Viele Einheiten des Feldlagers hatten Abordnungen gestellt, um bis zum Landeplatz ein
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