Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Spalier zu bilden. Wir standen rechts und links der Straße und hoben die rechte Hand zur Schläfe, als der Panzer mit dem Sarg vorbeirollte. Die vielen Tränen in den Gesichtern entließen Florian in die Erinnerung, die im Herzen weiterlebte, während Stimmen und Bilder in Vergessenheit gerieten.
Nach der Zeremonie zog ich mich in den dämmerigen Andachtsraum zurück. Leise summte die Klimaanlage in der Ecke. Ich saß auf einem bequemen Stuhl und betrachtete meine staubigen Stiefel. Sie waren abgenutzt.
Ich sollte sie umtauschen, dachte ich. Aber dann müsste ich die Neuen einlaufen. Von vorne anfangen.
Mein Blick wanderte durch den stillen Raum. Ein paar Stuhlreihen, sauber aufgestellt. Regale mit Büchern an der Wand. In einer Ecke ein Keyboard, in der Mitte ein großer Tisch. Er war mit einem bestickten Tuch geschmückt und wirkte unfertig für einen Altar. Ein dickes Buch lag darauf. Die provisorische Kapelle war weder festlich noch erhaben. Ein einfacher Raum in einem Feldlager.
Hier suchte ich manchmal Ruhe, um nachzudenken. Oder um einfach an nichts zu denken. Ich kam ganz sicher nicht wegen Gott hierher. Früher einmal, ja. Früher war ich oft zum Gottesdienst gegangen. Jede Woche. Hatte mich engagiert, in der Kirchenjugend, im Chor. War dort seit frühester Kindheit hineingewachsen. Doch jetzt, hier in diesem fremden Land, wusste ich nicht mehr, ob es meine Überzeugung oder die meiner Eltern war, die mich dorthin gebracht hatte. Dass ich den Gottesdienst nicht mehr besuchte, hatte nichts mit dem Einsatz zu tun. Ich hatte nicht wegen der Schrecken des Krieges meinen Glauben verloren. Ich zweifelte nicht an Gott, weil ich mir die altbekannte Frage stellte, warum es so viel Grausamkeit, so viel Ungerechtigkeit in der Welt gab und er das alles zuließ. Aber mit jedem Gebet, jeder Bitte kam es mir vor, als würde ich ein Stück meiner eigenen Verantwortung für die Geschehnisse um mich herum abgeben.
Ich war sicher, dass Glück und Unglück nur mehr Phrasen der Ohnmacht zu sein schienen. Aber es passierten einfach Dinge, auf die ich keinen Einfluss hatte. Und andere geschahen, weil ich eine Entscheidung traf. So wie die Entscheidung, auf Menschen zu schießen. Hier in Afghanistan fanden viele schwerwiegende Entscheidungen statt. In jedem Gefecht stellte sich die Frage nach Leben oder Tod. Jeder Augenblick war so intensiv, jeder Adrenalinschub schärfte meine Sinne aufs Äußerste. Und so erschien es mir inzwischen fast schon als normaler Vorgang, dass ich einen Menschen töten wollte, der versuchte, mich umzubringen. Es war eine Entscheidung, die ich getroffen hatte.
Das heftige Gefecht in der Nacht vor ein paar Wochen hätte mich eigentlich wütend machen müssen. Wütend auf diese Menschen, gegen die wir kämpfen mussten. Stattdessen spürte ich jetzt so etwas wie Verständnis. Sie waren Kämpfer, genauso wie wir. Natürlich waren sie hinterhältig, aber blieb ihnen beim Anblick unserer starken Waffen etwas anderes übrig? Sie glaubten an ihre Ziele, wir an unsere. Auch sie hatten viele Kameraden und Angehörige verloren. Letztendlich war es nicht kompliziert, wenn es um Leben und Tod ging. Ich wusste, der Mensch gegenüber wollte mich töten, und ich wollte ihn wiederum für diese Absicht töten. Diese direkte Konfrontation war befreiend. Sie wischte alle komplizierten Fragen beiseite. Worin also unterschieden wir uns von ihnen?
Ich war immer noch felsenfest davon überzeugt, dass wir uns für etwas einsetzten, was uns keinen unmittelbaren Vorteil brachte. Dass wir hier in diesem Land etwas Sinnvolles taten, weil wir die Menschen beschützten und ihnen eine bessere Zukunft ermöglichten, weil wir ihnen Frieden brachten. Frieden mit Waffengewalt, aber immerhin Frieden.
Aber wenn wir selbst keinen unmittelbaren Vorteil aus unserem Kampf zogen, worin lag die Gerechtigkeit dieses Krieges? Tatsächlich war das einzig Gerechte an der ganzen Sache, dass die Gewalt uns alle ereilte und keine Rücksicht auf eine Seite nahm.
Die nächste Raumverantwortung führte den Golf Zug wieder auf die Höhen südlich des Polizeihauptquartiers. Diesmal wurden wir mit unserer Gruppe auf der Höhe 431 eingesetzt. Mü befand sich zusammen mit Golf zwei auf Höhe 432. Ich hoffte auf einen ruhigen Aufenthalt, damit ich meinen Geburtstag feiern konnte. Kurz vor der Fahrt hierher hatte ich einen großen Vorrat an Rattengift besorgt. Die Biester sollten uns nicht noch einmal das Leben zur Hölle machen. Außerdem war Herr
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