Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Geburtstag, der Einsatz würde nur noch drei Monate dauern, und dieses Land gefiel mir inzwischen richtig gut. Überall gab es vertraute Ecken, Gesichter, die ich wiedererkannte, oder Menschen, die ich neu kennenlernte. Die raue Landschaft war in ihrer Andersartigkeit wirklich reizvoll, und bisher hatten wir alles einigermaßen gut überstanden. So marschierte ich fast schon fröhlich hinter Muli her, während ich mit dem Zielfernrohr den Horizont absuchte. Der Chef hatte den neuen Oberleutnant unserer Gruppe zugeteilt. Er sollte nicht führen, aber uns unterstützen. Muli hatte ihn kurzerhand für das Tragen der Panzerfaust abkommandiert, was uns alle zum Schmunzeln brachte, denn der Neue hatte immerhin einen höheren Dienstgrad als Muli.
Simbo hatte das schwere Maschinengewehr geschultert und Hardy schleppte die Munition, und so stapften sie wacker hinter mir über die Gräben und Wälle. Wir rechneten mit Feindkontakt. Deshalb hatten wir so viel Munition und Wasser mitgenommen, wie wir tragen konnten. Jeder von uns transportierte einen Haufen gefüllter Reservemagazine und Wasserflaschen im Rucksack. Aber Hardys Rucksack mit den Gurten für das Maschinengewehr wog fünfundvierzig Kilo. Ihm stand die Anstrengung ins Gesicht geschrieben.
Ohne Zwischenfälle gelangten wir ins Dorf. Die Straßen waren still, nur einige Tiere meldeten sich hinter den hohen Lehmmauern. Jedes Mal, wenn wir frühmorgens ein Dorf betraten, lag eine unglaubliche Spannung in der Luft. Ständig rechneten wir damit, dass hinter einer Ecke jemand mit einer Waffe auf uns lauern könnte. Es war anstrengend, alle Winkel im Auge zu behalten, während wir der gewundenen, lehmigen Straße folgten. Hinter einer Ecke wartete wirklich jemand auf uns. Aber sein überraschtes Gesicht verriet uns, dass er nicht mit uns gerechnet hatte. Nach einer kurzen Pause, in der er zu überlegen schien, was er von unserer Anwesenheit halten sollte, fing der Mann an zu lachen und kam auf uns zu.
Nachdem wir die Waffen gesenkt hatten, führte er uns durch kleine und große Tore, und ich wusste schnell nicht mehr, wo wir uns genau befanden. Auf jeden Fall schienen wir deutlich weiter vorgedrungen zu sein als das letzte Mal. Vorsichtig betraten wir einen Hof nach dem anderen, blieben ruhig und diszipliniert. Unsere Blicke und Waffen wanderten langsam in alle Richtungen. Sichern und Vorrücken. Sichern und wieder vorrücken. In einem großen Hof verteilten wir uns, und ich postierte mich mit Mica an einer Mauer. Um darüber hinwegsehen zu können, stiegen wir auf den Misthaufen davor. Als wir uns vorsichtig über die Mauerkrone schoben, hielt ich erschrocken inne. Die Sonne war inzwischen über dem Horizont erschienen und begann ihre hitzebringenden Strahlen auszubreiten. Unter mir gab der weiche Mist nach, vor mir eröffnete sich ein bedrückendes Bild. Ich blickte in eine große Anzahl verstörter Kinderaugen. Sie kauerten verängstigt auf dem Boden und blickten mich an. Ein Mann hockte hinter ihnen und stand langsam auf. Sein Gesicht verriet mir, dass er zornig war. Während er uns musterte, sprach er kein einziges Wort. Ich verband mein deutliches Kopfnicken mit einem freundlichen Salam aleikum. Als ob ich ihm gedroht hätte, nahm er das jüngste der Kinder auf den Arm, als wollte er es beschützen. Sein Gesicht war regungslos, doch seine Augen blitzten vor Zorn.
Keine Angst, sagte ich laut und langsam auf Dari. Wir sind nur hier, um etwas zu suchen, und gehen gleich wieder. Wir sind Freunde.
Sein Gesicht regte sich nicht. Aber er setzte das kleine Mädchen wieder auf den Boden, nahm daneben Platz und beobachtete uns weiter mit scharfem Blick. Auch die Kinder beobachteten uns mit weit aufgerissenen Augen, aber nicht mehr mit diesem Schrecken im Gesicht.
Kommt ihr mal rüber? Muli rief es.
Wir sollten in den nächsten Hof vorstoßen und schoben uns vorsichtig durch ein kleines Tor. Während über uns das Summen der Aufklärungsdrohne zu hören war, traten Mica und ich vor ein großes Wohnhaus.
Ein alter Mann trat heraus und sprach mit Muli und dem Sprachmittler. In diesem Dorf gebe es keine Taliban, und die Bewohner würden die Taliban auch nicht schätzen. Aber die Aufständischen kämen manchmal her, um die Bevölkerung zu bedrohen, berichtete der Mann. Deutsche Soldaten hätte er hier noch nie gesehen, meinte er. Und fügte verbittert hinzu, wenn die Taliban jede Woche kämen und die deutschen Soldaten nie, bliebe ihm gar nichts anderes übrig, als mit den
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