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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
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Verbindung zu Nossi zu halten. Den Graben wollte ich nämlich auf keinen Fall verlassen.
    Meine Gefühlsregungen wurden mir langsam unheimlich. Wenn wir unter Beschuss lagen, dachte ich nur noch daran, wegzulaufen. Aber sobald dieser aufhörte, legte sich meine Panik schlagartig. Das Grübeln darüber begann mich zu zermürben. Von Anfang an war mir bewusst gewesen, dass ich im Einsatz sterben könnte. Das Risiko war selbst gewählt, auch wenn ich seine Tragweite vielleicht nicht vollständig verstanden hatte. Aber jetzt, nach all den schrecklichen Dingen, die wir erlebt und überlebt hatten, rückte der Flug nach Hause immer näher. Es kam mir unendlich sinnlos vor, wenn es jetzt noch passieren würde.
    Binnen einer Stunde, in der ich mich einsam zu fühlen begann, erhielt ich den Befehl von Muli, die Rucksäcke zu nehmen und zum Rest des Trupps zu stoßen. In diesem Augenblick kam jedoch unser Bataillonskommandeur vorbei, der die Operation führte. Nachdem wir Quatliam eingenommen hatten, wollte er die Lage vor Ort einschätzen. Während wir hinter dem Damm in Deckung lagen, spazierte er mit seinen Offizieren oben auf und ab. Sie liefen direkt vor uns herum und versperrten die Sicht, bildeten aber auch ein leichtes Ziel. Vergeblich wies ich darauf hin. Dann zog ich den Kopf ein und widmete mich den Rucksäcken. Ich würde mehrmals laufen müssen, schließlich waren sie bis obenhin voll mit Munition. Langsam schleppte ich die Last in die Richtung, in die Muli mit dem Rest verschwunden war. Jetzt konnte ich auch die Schonung in Augenschein nehmen. Sie bestand aus kleinen Wällen, die mit dünnen jungen Bäumen bepflanzt war, und lag am südlichen Dorfrand.
    Das ganze Areal bildete ein großes Hufeisen am südlichen Dorfrand und war vielleicht dreißig Meter breit und hundert Meter lang, aber durch den Bewuchs sehr unübersichtlich. An der östlichen Seite, wo ich eben noch gewesen war, lag Nossi mit seinem Trupp. Ganz im Süden mussten irgendwo Brandy mit Golf zwei und Mü sein, aber trotz der wenigen Meter konnte ich sie nicht sehen. Und im Westen suchte ich jetzt nach Muli.
    Dort hatte jemand ein tiefes und breites Loch ausgehoben, in dem auch kleine Bäume wuchsen. Das Loch sah so aus, wie man es früher beim Torfstechen machte. Es hatte steile Wände und war etwa halb so groß wie ein Basketballfeld. Die Erde war direkt daneben aufgeschüttet worden und bildete einen kleinen Hügel. Ein tiefer Wassergraben trennte diesen Bereich von der restlichen Schonung. TJs Leiter lag wie eine Brücke darüber. Obwohl ich die anderen immer noch nicht sehen konnte und ein ungutes Gefühl hatte, schleppte ich meine schwere Last hinüber.
    Hier sind wir!, hörte ich eine Stimme rufen.
    Es war Mica, der auf dem kleinen Hügel lag. Ich kletterte die Böschung hinauf, die auf die Spitze des Hügels führte. Als ich den Wall erreichte, hinter dem die anderen liegen mussten, konnte ich kurz die Westplatte sehen und hielt einen Moment inne. Im gleichen Moment krachte es wieder. Das Gewehrfeuer, das irgendwo von vorne zu kommen schien, galt mir. Ich ließ die Rucksäcke fallen und warf mich auf den Boden.
    So eine Scheiße!, brüllte ich.
    Ruhe!, rief Muli von der anderen Seite des Walles. Noch haben die uns nicht aufgeklärt!
    Jetzt schon, dachte ich und wagte es nicht, mich zu bewegen. Nach wenigen Sekunden hörte der Beschuss auf. Ich robbte auf dem Boden um den Wall herum. Er war nur wenige Meter breit. Dahinter lagen die anderen in einer flachen Senke. Ein weiterer Wall schützte sie nach vorne. Vor uns befand sich ein abgeerntetes Getreidefeld, hinter uns die Schonung. Wir waren in unserer Stellung in Quatliam angekommen.
    Eigentlich hätte ich beruhigt aufatmen können. Wir waren ohne Verluste durch das ganze Dorf marschiert. Hatten unsere befohlene Stellung erreicht und brauchten nur noch abzuwarten, bis wir wieder gehen konnten. Doch schon flammten irgendwo die Kämpfe wieder auf. Im Hintergrund knallte und rummste es fortwährend. Aber es schien von verschiedenen Stellen zu kommen. Der Foxtrott und der Hotel Zug wurden offenbar wieder angegriffen. Das dumpfe Hämmern von den Kanonen der Schützenpanzer drang zu uns herüber. Und in der Ferne knallte es ebenfalls gewaltig. Waren das die Amerikaner in Isa Khel? Anscheinend wurde jetzt überall gekämpft. Warum hatten uns die Aufständischen erst ins Dorf gelassen und versuchten jetzt, uns wieder zu vertreiben? Hatten sie irgendetwas Besonderes vorbereitet?

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