Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
auf Purzel als Mitbewohner.
Ich weiß noch nicht genau, mit wem ich zusammenwohnen will, versuchte ich der Frage auszuweichen.
Überleg’s dir, bohrte er nach. Ich denke, es ist gut, weil wir nicht in derselben Gruppe sind. Da können wir etwas von den Übrigen abschalten, wenn wir im Feldlager sind, versuchte er mich zu überzeugen.
Das leuchtete mir ein. Okay, sagte ich zögernd, machen wir’s.
Fein. Gehst du den Container aussuchen?, fragte er mich. Ich muss noch Munition zum Fahrzeug bringen.
So begab ich mich zum ersten Container in der Reihe. Er hatte die Nummer 100 und lag günstig, weil es nur auf einer Seite Nachbarn gab. Dort wohnten noch zwei Soldaten unserer Vorgängereinheit, die als Ausgleich für die Verluste vom Karfreitag nachträglich eingeflogen worden waren. Sie sollten nach Abflug des alten Golf Zuges in eine andere Kompanie wechseln. Leider waren sie nicht bereit, den Container vorzeitig zu räumen. Nur für Purzel würde noch Platz sein, ich musste eben so lange im Zelt bleiben oder irgendwie überbrücken. Dafür wollten sie uns den Fernseher, den Wasserkocher, den Kühlschrank und die Kaffeemaschine für zusammen 100 Euro überlassen.
Nachdem ich mir und Purzel den Container gesichert hatte, spürte ich, wie sich mein Körper langsam entspannte. Aber wie ein Motor, der auf Höchstleistung lief, war ich immer noch erhitzt. Nach diesem Marsch waren wir schockakklimatisiert.
Später rief Muli uns noch zusammen. Lagebesprechung in der Festung, nur mit Golf eins. Nossi richtete sich eindringlich an uns:
Ich glaube, jeder hat gemerkt, dass wir nach nur drei Tagen hier etwas überfordert waren. Ich denke, wir haben viel dazugelernt, das schließt mich mit ein. Ich will, dass ihr in Zukunft nicht mehr so viel Munition mitschleppt, das kostet einfach zu viel Kraft.
Schließlich richtete sich Muli noch an mich:
Okay, kommst du morgen um sechs Uhr dreißig zu mir, um die Lage für die Notfallbereitschaft an den Rest weiterzugeben?, Klar, alter Mann, meinte ich grinsend und meinte dann noch: Weiß jemand, wie warm es heute bei der Patrouille war?
In einem der Fahrzeuge war ’n Thermometer, sagte TJ. 57 Grad im Schatten.
Am Abend beeilten wir uns, zu einem der im Lager aufgebauten Bildschirme zu gelangen. In vielen Betreuungseinrichtungen waren Fernseher aufgestellt, manche hatten sogar eine Leinwand für einen Projektor. Es war gerade Fußballweltmeisterschaft, und unsere Jungs spielten klasse. Wegen des Abflugs aus Deutschland hatten wir nicht alle Vorrundenspiele ansehen können. An diesem Abend wollte niemand das Spiel Deutschland gegen Serbien verpassen.
Nach dem Spiel saß ich auf meinem Feldbett, das Handy in der Hand. Die meisten hatten schon eine Anmeldung für einen besonderen Telefonvertrag ausgefüllt, so auch ich. Er wurde von einem Vertragspartner der Bundeswehr angeboten und sollte den Soldaten den Kontakt nach Hause ermöglichen. Die Preise waren trotzdem unverschämt hoch. Aber da wir noch ein paar Tage auf die Freischaltung warten mussten, wollte ich über meinen deutschen Handyanbieter zu Hause anrufen. Muli hatte mir geraten, drei verschiedene Telefonkarten fürs Handy zu benutzen. Meine deutsche, um Textnachrichten zu empfangen, die Karte des Bundeswehrpartners zum Telefonieren nach Hause und eine afghanische Karte, um Textnachrichten zu verschicken. Das war ein Geheimtipp. In diesem Moment ärgerte ich mich wahnsinnig darüber, wie schlecht die Bundeswehr die Verbindung nach Hause gewährleistete. Und wie teuer es war.
Ich hatte meiner Freundin gesagt, dass ich mich melde, sobald es möglich wäre. Beide waren wir mit den gleichen sorgenvollen Gedanken auseinandergegangen, die unsere Beziehung betrafen. Ich war schon vor Monaten nicht sicher gewesen, wie ich ihr meine Entscheidung für den Einsatz erklären sollte. Hatte es erst vor mir hergeschoben, es hinausgezögert, mich scheiße gefühlt. Und ihr damit sehr wehgetan. Es war wie bei einem frisch Verliebten, der es seiner Liebsten endlich gestehen will. Den aber vor ihrer Tür wieder der Mut verlässt. Er will es auf den nächsten Tag verschieben und ist auch irgendwie froh darüber. Denn es ihr zu sagen, hätte auch die Möglichkeit des Scheiterns beinhaltet. Davor haben Menschen Angst. Davor hatte ich Angst. Meine eigene Unsicherheit manifestierte sich jetzt auf dieser Liege in Afghanistan in meiner zitternden rechten Hand und dem Kloß, den ich im Hals spürte. Langsam fuhr ich mit den feuchten Fingern über
Weitere Kostenlose Bücher