Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
vorgestern fast erwischt, meinte sie trocken. Einer unserer Transportpanzer ist auf einen Sprengsatz gefahren und sein Platz war völlig zerstört.
Und er?, fragte ich eindringlich.
Er hatte sich für eine Videokonferenz mit seiner Freundin angemeldet, aber keinen Platz mehr bekommen. Erst eine halbe Stunde vor der Abfahrt kam unser Einheitsführer an und sagte, er könne doch hin …
Dann wechselte sie blitzartig das Thema.
Wenn du was brauchst, meld dich, bot sie an, während wir unsere Tabletts wegbrachten.
Habt ihr noch ’n paar Batterien für uns?, nutzte ich die Chance. Wir ham nicht genug für alle Nachtsichtgeräte.
Sie wies mir den Weg zu einer Lagerhalle in der Nähe, wo ich nachfragen solle.
Dort schob ich eine schwere Metalltür auf und betrat einen kühlen und abgedunkelten Raum in der beschriebenen Lagerhalle. In der Mitte stand ein Tresen, und weiter hinten standen einige Regale und viele große Paletten. Ein kleiner Mann mit dickem Bauch und Hosenträgern begrüßte mich mit einem freundlichen, aber reservierten: Ja, bitte?
Ich erzählte ihm, wer mich geschickt hatte und dass ich Batterien bräuchte.
Er musterte mich. Normalerweise geht das nicht. Wir haben im Moment im ganzen Feldlager zu wenige Batterien und ich weiß nicht, wann neue kommen. Und ohne unterschriebenen Anforderungszettel sowieso nicht.
Ich wunderte mich nicht darüber, dass ich vor den gleichen bürokratischen Herausforderungen stand wie in Deutschland.
Zum Glück fragte er noch etwas: Von welcher Einheit kommst du denn?
Ähm, Erste Infanteriekompanie, Golf Zug, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Sofort wechselte sein Gesichtsausdruck. Golf Zug? Kein Problem! Die Kampfeinheiten bekommen von mir alles als Erste. Wie viele willst du haben?
Ich war überrascht, geduzt zu werden, aber nannte schnell die Zahl und Größe. Er legte etwa doppelt so viele, in kleinen Packungen steckende Batterien auf den Tresen.
Braucht ihr sonst noch was?
Ich hatte vorher schon aus dem Augenwinkel in die Regale gespäht. Panzertape wär super, bemerkte ich forsch.
Wenn sich in der Bundeswehr die Gelegenheit bot, wurde ich zum Sammler. Haben ist besser als brauchen, sagte Muli dazu.
Mit einem großen Gefühl der Dankbarkeit und der Ahnung, dass er mich wahrscheinlich für ein Mitglied des alten Golf Zuges gehalten hatte und mir das Mitgefühl mit unseren Vorgängern Tür und Tor zu öffnen schien, kehrte ich mit meiner Beute zurück.
Der ganze Zug saß bereits in der Festung zur Einsatzbesprechung und wartete auf die Einweisung von Mü.
Wir werden also heute den Taloqan-Express fahren, begann er.
Er meinte die Versorgungsfahrt nach Taloqan, eine große Stadt östlich von Kundus. Dort war ein Zug der Schutzkompanie des Feldlagers in einem Gebäude mitten in der Stadt untergebracht, um den Kontakt zur Bevölkerung an diesem entfernten Ort sicherzustellen.
Mü setzte seine Ausführungen fort: Eine Strecke sind fünfundsiebzig Kilometer, alles asphaltiert. Sobald wir vor Ort sind, laden wir das Material ab und sehen zu, dass wir zurückkommen, damit wir vor Einbruch der Dunkelheit wieder da sind.
Aber pissen dürfen wir dort, oder?, fragte Jonny besorgt.
Kennen Sie die Lage?, fragte Mü scharf. Ich nehme als Erstes mit dem Führer vor Ort Verbindung auf, dann sehen wir weiter …
Ich konnte es nicht ausstehen, dass Mü uns fast immer duzte, aber wenn ihm etwas nicht passte, uns mit diesem distanzierten Sie ansprach. Das schuf unnötig Verwirrung.
TJ hatte noch eine Frage und brummte in den Raum: Ist der Taloqan-Express nicht eigentlich eine Aufgabe der Schutzkompanie des Feldlagers? Warum müssen wir das machen?
Weil die Schutz gerade Übergabe an ihre Nachfolger macht, meinte Mü knapp. Die fliegen in zwei Wochen nach Hause. Dieses Problem wird uns noch öfter begegnen. In zwei Monaten wechselt die andere Infanteriekompanie, dann gibts wieder doppelte Arbeit für uns, sagte unser Zugführer mit einem Tonfall, der erkennen ließ, dass sich die Anzahl der schlaflosen Stunden beim Wachdienst dabei eher für uns als für ihn erhöhte.
Die Fahrt nach Taloqan war die erste lange Fahrt für uns. Die Straße, die von Kundus dorthin führte, war nagelneu und als Highway eingestuft, obwohl sie eher einer deutschen Bundesstraße glich. Um sie zu erreichen, mussten wir quer durch die Stadt Kundus fahren. Denn selbst in unmittelbarer Nähe des Lagers gab es Straßen und Wege, die wir entweder nicht befahren konnten, weil sie zu uneben waren,
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