Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
das erste immer noch den gestrigen Marsch verdaute, und machte mich auf den Weg zu den Containern.
Immer noch schmerzten meine Beine. Zwischen den Containern und Zelten, Fahrzeugen und Funkmasten waren ein paar andere Frühaufsteher zu sehen. Auch ein paar Jogger zogen ihre Bahnen an der Außenmauer entlang. Dafür war es jetzt noch kühl genug. Ein Radlader mit einer Palette Wasserflaschen kreuzte meinen Weg, und in der Ferne nahm ich das Brummen eines Flugzeugs auf dem Rollfeld wahr. Hier prallten die verschiedensten Welten aufeinander. Zum einen die alten Hasen, die schon mehrere Monate Einsatz hinter sich gebracht hatten. Dann Neuankömmlinge wie wir, die in einem steten Strom alle paar Tage den Flugplatz erreichten. Dazu die belgischen, amerikanischen und armenischen Soldaten im Feldlager und schließlich der krasseste Gegensatz, der wie eine Schlucht unsere Lebenswelten für die nächsten Monate trennen sollte: die kleine, deutsch geordnete Welt hier drinnen und das große, wüste und andersartige Unbekannte vor den Toren des Feldlagers.
Als ich den schmalen Flur aus grauen und fleckigen Holzbohlen erreichte, der unsere beiden Wohncontainerreihen voneinander trennte, lag dieser still und verlassen vor mir. In dem langen, schummerigen Raum war allerlei Gerümpel und Müll verteilt. Die trostlose Stimmung, in der unsere Vorgänger hier in der letzten Zeit gehaust haben mussten, war mit Händen zu greifen. Vermutlich hatten ihre Vorgesetzten sie nach den Erlebnissen vom Karfreitag komplett in Ruhe gelassen.
Ich ging langsam den Flur entlang und näherte mich Mulis Tür, als ein Brett unter dem Gewicht meines Körpers etwas mehr nachgab als die Übrigen. Während es laut knarzte, konnte ich einen Schatten erkennen. Vermutlich eine große Maus oder eine Ratte. Als ich mit meiner Stirnlampe, die ich immer in der linken Beintasche trug, zwischen die Bretter leuchtete, erkannte ich ein dichtes Gewühl an Batterien, leeren Schokoriegel-Verpackungen, Gummibärchen und tennisballgroßen Staubflusen.
Als Muli seinen Container öffnete, wirkte er übermüdet. Heute haben wir doch keine Notfallbereitschaft, sagte er langsam, die ist erst morgen. Wir müssen aber irgendwann nach Taloqan fahren. Sag den anderen, dass wir uns in zwei Stunden in der Festung treffen.
Nach der Erledigung meines Auftrags ging ich frühstücken. Dort erwartete mich eine reichhaltigere Auswahl als in der Kaserne in Deutschland. Während ich mir zwei Brötchen auf das Tablett legte und gemütlich zum Käse schlenderte, wurde ich von hinten angesprochen.
Clair? Was machst du denn hier?
Eine freundliche Frauenstimme ließ mich herumfahren. Das bekannte Gesicht einer Kameradin war eine schöne Überraschung.
Hey, ich bin hier mit einer Fallschirmjägerkompanie, wir stellen die erste Infanteriekompanie des Feldlagers, erklärte ich auf ihre Frage hin.
Zu welchem Zug gehört ihr?, hakte sie nach.
Wir ersetzen den Golf Zug.
Ihr Gesicht veränderte den Ausdruck. Es war kaum wahrnehmbar, trotzdem wirkte sie plötzlich bedrückt.
Ich bin als Sani hier und war am Karfreitag mit denen draußen. Das war kein Spaß. Sie sah mir in die Augen.
Das glaub ich dir, war das Einzige, was ich antworten konnte.
Wir steuerten mit unseren Tabletts einen leeren Tisch an, um in Ruhe gemeinsam frühstücken zu können. Doch im Grunde redeten wir nur über das Gefecht vom Karfreitag. Sie berichtete von den Umständen, erzählte von den Verwundeten, dem Feuerkampf, den Explosionen. Dabei klang sie, als ob sie aus einer Zeitung vorlesen würde und nicht selbst dabei gewesen war. Sehr sachlich.
Gehen welche von euch zum Psychologen?, fragte ich direkt.
Klar, die meisten, war die direkte Antwort. Für mich ist das irgendwie noch zu frisch. Aber in Deutschland gehe ich auf jeden Fall. So was steckst du nicht so einfach weg.
Ich erzählte von mir. Für mich ist das alles noch total neu. Wir waren gestern draußen, unsere erste Fußpatrouille.
Ja, ich weiß, überraschte sie mich. Die haben gestern den ganzen Sanitätsbereich hochgefahren, höchste Alarmbereitschaft. Die sind alle noch nervös vom Karfreitag. Da war wohl etwas Panik mit im Spiel, weil ihr so schnell so weit vorrücken musstet. Wie lange seid ihr hier, drei Tage?
Ich überlegte kurz. Heute ist der vierte.
Und dann macht ihr schon solche Dinger, ihr seid ja bekloppt!, rief sie erregt. Naja, ihr werdet schon noch ruhiger, das gibt sich mit der Zeit.
Dann senkte sie ihre Stimme. Einen von uns hätte es
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