Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
die Tasten. Wie ein mahnendes Bild betrachtete ich den Hintergrund, der uns beide lachend zeigte, und öffnete schnell ein Menü, um es zu verdecken. Was sollte ich ihr sagen?
Unser Abschied war sehr schwierig gewesen. Wir hatten eine letzte Nacht miteinander verbracht. Wir hätten dabei glücklich sein sollen, uns dieses schöne Gefühl bewahren müssen. Aber ein schwerer Schatten hing die ganze Zeit über uns. Ein Gedanke, flüchtig und unfassbar, aber dennoch gefährlich und endgültig. Er bohrte sich in unsere Herzen, das spürte ich genau. Würden wir uns wiedersehen? Würde es eine gesunde Rückkehr für mich geben? In der letzten Zeit hatte ich mit ihr viel über den Karfreitag gesprochen. Hatte von den Kameraden erzählt, die dort gefallen waren. Hatte wahrheitsgemäß berichtet, dass wir die direkten Nachfolger wären. Und nicht wussten, wie lange wir würden bleiben müssen. Vier Monate. Das war die Information, mit der wir auf den Einsatz vorbereitet worden waren. Ob es überhaupt bei den inzwischen veranschlagten sechs Monaten blieb, konnte niemand sagen.
Wir beide hatten immer wieder geweint, mal mehr und mal weniger. Und selbst jetzt, auf dieser Liege in diesem Feldlager, verrieten meine feuchten Augen, wie aufgewühlt ich war. Ich war noch niemals zuvor so lange von zu Hause weg gewesen. Und der Ort, den ich als mein Zuhause bezeichnete, war über fünftausend Kilometer entfernt. Uns trennten dabei mehr als nur Gebirge, Meere oder Grenzübergänge. Ich schluckte. Uns trennte die Gewissheit, dass diese kurze und zärtliche Nacht die letzte gemeinsame unseres Lebens gewesen sein könnte.
Ich dachte an das Leben, das ich geführt, an die vielen Entscheidungen, die ich getroffen und die mich bis hierher gebracht hatten. Ihr war das alles sehr egoistisch vorgekommen. Ich konnte es verstehen. Erst das viele Training, die Übungen, weit weg, irgendwo in Deutschland. Die wenige Freizeit. Jetzt der Einsatz, über Monate und mit ungewissem Ausgang. Sie hatte gesagt, dass sie sich im Stich gelassen fühle. Dass sie es nicht verstehen könne. Ich würde sie alleine zurücklassen. Das hatte mich wütend gemacht. Ich bemühte ihr gegenüber wieder mein Bild vom Feuerwehrmann: Wenn das Haus brennt und ich drinnen liege, würdest du ihn niemals aufhalten, obwohl auch er wahrscheinlich eine Familie hat.
War das meine Rechtfertigung für meinen Einsatz? Ich musste an das glauben, was ich sagte, und wusste doch die Antwort auf die Frage nicht. Was suchte ich hier, wo ich doch zu Hause sein könnte. Und bei ihr. Sicher, ich hatte diesen Job schon, bevor ich sie kennenlernte. Aber damals ging es nicht ums Kämpfen. Ich war noch Ausbilder. Und erzählte von einem Krieg, den ich selbst nicht kannte.
Ich fasste das Handy mit beiden Händen und drückte nacheinander die Tasten herunter. Die Nummer erschien auf dem Display. Ich hielt inne. Die Nummern begannen zu tanzen und verschwammen, gingen in dem Flimmern meiner Augen unter. Ich wischte mir durchs Gesicht. Eine neue Idee: Es folgten Buchstaben, die sich zu einer kurzen Nachricht verbanden. Nachdem ich auf Senden gedrückt hatte, las ich es noch einmal: Ich wünsche dir eine gute Nacht, ich denk an dich!
TALOQAN-EXPRESS
Ich blinzelte verschlafen, nachdem mich das Klingeln des Weckers am nächsten Morgen aus meinen Träumen gerissen hatte. Durch einen Fensterspalt in der Zeltwand drang schwaches Sonnenlicht herein, während mich auf meiner Liege der Schleier der Nacht noch wie ein Tuch zu bedecken schien. Ich kniff die Augen zusammen. Trotzdem konnte ich mich noch nicht dazu überwinden, aufzustehen. Das Läuten des Weckers war gerade eben noch nicht unangenehm genug, um aus der weichen und kuscheligen Bettdeckenhöhle zu fliehen. Ich war wirklich kein Langschläfer. Aber ich spürte den gestrigen Tag mit seinem Fußmarsch und all den Aufregungen dieser neuen und spannenden, aber auch gefährlichen Situation in jedem Muskel.
Weil die anderen schon gestern Abend mit den meisten ihrer Sachen in Container umgezogen waren, hatte ich allein im Zelt geschlafen. Nur noch ein paar große Taschen und Kisten standen in den Ecken herum und warteten darauf, abgeholt zu werden. Als ich ins Freie trat, empfing mich die sich anbahnende Hitze mit der gleichen Wand aus stehender, staubiger Luft wie an den Tagen zuvor. Langsam gewöhnte ich mich an die ständigen Wechsel aus kalter Klimaanlagenluft im Inneren und drückender Schwüle draußen. Ich zog das zweite Paar Stiefel an, weil
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