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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
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ärgerlich.
    Er hatte recht. Obwohl wir um die Situation wussten, waren wir alle so froh gewesen, nicht mehr laufen zu müssen, dass wir völlig vergessen hatten, jemanden zur Sicherung abzustellen.
    Dann hörte ich wieder den Chef rufen: Jetzt stellt euch nicht so an. Das bisschen Marschieren!
    Dafür hasste ich ihn jetzt. Wie er da mitten unter uns stand, nur mit einem Gewehr und der Weste mit ein paar Magazinen. Kein Rucksack, keine schwere Zusatzausrüstung. Der Schmerz beflügelte meine Wut.
    Endlich rumpelten wir zurück ins Feldlager. Im Transportpanzer nahm ich im Halbdunkel eine seltsame Masse aus staubigen Stiefeln, am Körper klebenden Uniformen und schmutzigen Gesichtern wahr, dazu roch es nach Schwarzpulver aus den abgefeuerten Waffen. Ich legte den Kopf in den Nacken, bis ich ihn gegen die Fahrzeugwand lehnen konnte. Alles schien vor meinen Augen zu verschwimmen. Fast alle hatten die Augen geschlossen, obwohl wir eigentlich wach bleiben mussten.
    Diesmal war es Jonny, der die Stille als Erster durchbrach: Ich hab nichts gesehen, auf was habt ihr eigentlich geschossen?
    Ich hab plötzlich einen Typ gesehen, der was in der Hand hatte, sagte Nossi aufgeregt. Der tauchte vor uns bei so ’ner Baumgruppe auf. Sah aus, als würde der uns beobachten.
    Also ich hab ’ne Waffe gesehen, Digger, mischte sich Wizo ein.
    Na, wenn du ’ne Waffe gesehen hast, war da auch eine, sagte Muli, schließlich hattest du zusammen mit Joe als Einziger keinen Hitzekollaps.
    Wisst ihr, was krass war?, rief Nossi wieder. Als ich geschossen habe, wurde mir plötzlich schwarz vor Augen. Ich bin irgendwie zusammengesackt, war aber noch hinter meiner Waffe im Anschlag. Als ich die Augen wieder aufgemacht hab, hab ich sofort einfach weitergeschossen. Ich hab das gar nicht richtig realisiert.
    Es ist unglaublich, dass alles gut gegangen ist, dachte ich.
    Noch niemals zuvor habe ich eine Dusche so sehr genossen wie an diesem Nachmittag. Noch nie zuvor habe ich länger geduscht als nach dieser Tortur. Und noch nie zuvor habe ich die Wassertropfen, die erst heftig aufprallten und dann langsam auf meiner Haut herunterliefen, intensiver gespürt. Obwohl jeder Teil meines Körpers auch bei der kleinsten Bewegung schmerzte, habe ich mich noch niemals zuvor so frisch gefühlt.
    Abends versammelten wir uns in sauberen Uniformen in der Festung, unserem Aufenthaltsraum. Mü hatte eine gute und eine weniger gute Nachricht für uns. Erstens würden wir am nächsten Tag in die Container umziehen können, zweitens wären wir für die Notfallbereitschaft eingeteilt. So war das im Feldlager geregelt. Die Infanterieeinheiten, die gerade nicht außerhalb des Feldlagers waren, mussten immer im Wechsel zwei Züge stellen, falls die, die draußen waren, in der Klemme steckten. Für uns bedeutete es, dass wir uns am nächsten Tag nicht einmal allein irgendwo hinbewegen durften. Denn es mussten alle innerhalb von wenigen Minuten einsatzbereit sein. Als Mü uns das mitteilte, war der Raum von Brummen und Unmut erfüllt. Wir alle hatten nach diesem Tag auf etwas Ruhe gehofft.
    Jemand muss es machen, sagte Mü.
    Es ist ja sonst keiner da, dachte ich.
    Wir sind auch froh, wenn jemand da ist, wenn wir draußen sind, sagte Mü.
    Nach der Besprechung trat jemand aus der zweiten Gruppe an mich heran. Es war Purzel. Purzel war ein dürrer Kerl mit kurzen, borstigen Haaren und langen, schlaksigen Armen. Er trug seine Hosen immer ein Stück zu tief unter dem Po, was mit unseren Feldhosen zwar bequem war, aber auch etwas merkwürdig aussah. Purzel rauchte viel und drehte seine Zigaretten selbst. Er war einer der Menschen, bei denen man nie so genau wusste, was ihn wirklich bewegte. Sein Humor und seine Art passten nicht zum großen Teil des Zuges, weshalb er immer etwas außen vor war. Ich hatte mir noch nie viel Mühe gegeben, ihn näher kennenzulernen. Wohl auch, weil er viel Wert darauf legte, seine Arbeit in der Armee und sein Privatleben zu trennen. Und weil er nicht verbarg, einen bestimmten Musikgeschmack zu haben und gerne auf entsprechende Festivals ging, nannten die meisten ihn Punker, wenn sie ihn ärgern wollten.
    Hey, Joe, sprach er mich an. Was hältst du davon, wenn wir uns einen Container teilen?
    Ich überlegte kurz. Eigentlich hatte ich mir noch keine richtigen Gedanken darüber gemacht, mit wem ich im Einsatz zusammenwohnen wollte. Die meisten anderen hatten sich allerdings schon in Wohnteams zusammengefunden. Eigentlich hatte ich keine große Lust

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