Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
tapfere Menschen gab, die einfach nur ihrem Land dienen wollten. Die sich ihren Kameraden und ihrem Land verpflichtet fühlten. Damals ging es für Tausende Männer um Leben und Tod. Und in dem Wissen, dass im Zweifel der Kamerad neben dir der Einzige ist, auf den du dich verlassen kannst, wächst man zusammen. Und jetzt überleg dir mal Folgendes: Damals ist viel passiert, was absolut schrecklich war. Und wir dürfen das niemals vergessen. Aber du und ich können nichts dafür, was unsere Großväter vor über siebzig Jahren gemacht haben. Aber ich glaube an etwas, was es heutzutage fast nicht mehr gibt. Treue zum Kameraden und Treue zu meinem Land. Und diese Werte gibt es schon viel länger als die Nazis.
Irgendwie war ich von seiner Sichtweise beeindruckt. Es ging mir nicht darum, seine Meinung zu teilen. Es ging mir vor allem darum zu wissen, woran ich bei meinem Vorgesetzten war. Er hatte Prinzipien, die für ihn unverrückbar galten und sicher nicht die schlechtesten waren. Über andere Dinge hatte er kritisch nachgedacht. Vielleicht kam ich deshalb nicht so gut mit meinem Zugführer Mü klar. Ich konnte ihn nicht einschätzen, weil bei ihm keine klaren Prinzipien zu erkennen waren. An jenem Tag in der Kaserne war mir klar geworden, dass ich mich immer hundertprozentig auf Muli würde verlassen können. Und dass ich deshalb mit ihm in diesen Einsatz gehen konnte. Es war nicht das Kriegerische, das Muli und auch der Kompaniechef uns zu lehren versuchten. Vielmehr wollten sie uns eine professionelle Auffassung unserer Arbeit vermitteln. Und sie waren stolz, etwas für ihr Land und ihre Kameraden zu tun.
Während der Foxtrott, Hotel und India Zug noch mit der Übernahme ihrer Ausrüstung beschäftigt waren, hatte für uns aus dem Golf Zug der Einsatz inzwischen begonnen. Auch, weil unsere Vorgänger wenige Tage vor dem Abflug nicht mehr eingesetzt wurden und wir aus diesem Grund dringend gebraucht wurden. Ich erinnerte mich an TJs Worte, der so bissig bemerkt hatte, wie viel einfacher unsere Arbeit hier allein organisatorisch wäre, wenn es drei anstatt zwei Infanteriekompanien im Feldlager gäbe. Ich rechnete mir die Situation im Kopf aus. Die Schutzkompanie war zwar auch eine Kampfeinheit, war aber eigentlich nur für die Sicherheit des Feldlagers zuständig. Zusätzlich hatte sie immer einen von vier Zügen für den Außenposten in Taloqan abzustellen und war für den Schutz des Versorgungskonvois Taloqan-Express verantwortlich, der einmal pro Woche fuhr. Von den beiden weiteren Kampfeinheiten, zu denen auch wir zählten, war immer eine draußen unterwegs, meistens über eine Woche am Stück. Dieser Auftrag wurde »Raumverantwortung« genannt, weil die Kompanie während dieser Zeit die Verantwortung für den Raum außerhalb des Feldlagers innehatte. Die letzte Kompanie blieb im Feldlager, um sich zu erholen, weil sie die Kompanie draußen nach deren Raumverantwortung wieder ablösen musste, was immer im Wechsel geschah.
Aber parallel zur Erholungszeit im Lager hatte sie sogenannte Standardaufträge zu verrichten. Dazu gehörte das Eskortieren von hohen Offizieren zu irgendwelchen Treffen mit wichtigen Afghanen, der Materialtransport zu den anderen draußen oder eben das Bereitstehen für Notfälle, wofür wir gerade eingeteilt waren. Haarig würde es werden, wenn eine der drei Kompanien einen Kontingentwechsel hatte. Dann nämlich, wenn die alte Kompanie sich auf den Rückflug nach Deutschland vorbereitete und die Neue noch nicht einsatzbereit war, mussten die Aufgaben von eigentlich drei Kompanien von zweien erledigt werden.
Ich brauchte nicht lange, um auszurechnen, wie viele Tage wir dadurch länger würden draußen bleiben müssen. Und wie stark die ohnehin knapp bemessenen freien Tage weiter reduziert werden würden. Wenn man dann noch die Größe des zu betreuenden Gebietes berücksichtigte, lag klar auf der Hand, warum den Soldaten die Arbeit hier so schwerfiel. Der deutsche Verantwortungsbereich umfasste neun afghanische Provinzen im Norden des Landes, ein Gebiet, das etwa halb so groß war wie die Bundesrepublik Deutschland. Hier waren ein paar tausend deutsche Soldaten stationiert, wovon die meisten für die umfangreiche Logistik zuständig waren und quasi nie das Lager verließen. Eine Kompanie für den Lagerschutz. Zwei Infanteriekompanien für den Kernauftrag. Zusammen vielleicht dreihundertfünfzig Mann. Dazu noch die Unterstützer für die Arbeit draußen. Kampfmittelbeseitiger, Aufklärer
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