Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
uns behinderte.
Nach ein paar hundert Metern lag der Culvert in der Sonne vor uns. Es musste sich um eine große Betonröhre unter der Straße handeln, weil der Sand wie eine halbrunde Wurst auf der Straße aufgetürmt war. Man hatte sich offenbar nicht viel Zeit genommen, um die Röhre tief genug zu vergraben oder eine entsprechend lange Rampe vor und hinter der Röhre aufzuschütten. Wir hielten in einiger Entfernung quer auf der Straße an. Muli sah durch sein Fernglas und Mica drehte hektisch an den Kurbeln der Waffenanlage. Er presste die Augen an die Optik, um den Blick über die Umgebung schweifen lassen zu können.
Muli ließ Hardy und mich absitzen. Wir gingen vor, wie wir es gelernt hatten. Zunächst suchten wir die direkte Umgebung um das Fahrzeug nach Auffälligkeiten ab, dann musste die Straße blockiert werden, damit kein Zivilist in Gefahr geraten und sich kein Attentäter nähern konnte. Am Ende der Kolonne war das einfach. Das letzte Fahrzeug stand quer und blockierte die Durchfahrt. Für uns ganz vorne war es ungleich schwieriger. Denn bei einem Bombenverdacht durfte niemand über den Culvert fahren. Darüber hinaus musste bis zur Entwarnung ein großer Sicherheitsabstand zum Verdachtsort eingehalten werden. Trotzdem musste der Verkehr auf der anderen Seite zum Stehen gebracht werden. Schon oft hatten wir von Situationen gehört, in denen Verkehrsteilnehmer nicht auf die Signale der Soldaten reagierten. Es waren Attentäter dabei gewesen, die sich und die Soldaten in die Luft gesprengt hatten. Aber auch unschuldige Zivilisten waren schon erschossen worden. Jede Situation schien genug Zündstoff zu enthalten, um einen Flächenbrand auslösen zu können. Diese Undurchschaubarkeit wurde für uns mehr und mehr zum bestimmenden Faktor. Mir wurde klar, dass fast jede Handlung in diesem Land über Leben und Tod entscheiden konnte.
Muli lud die Signalpistole, die er in seiner Ausrüstung hatte. Er blickte mich mit ernstem Ausdruck an. Wenn ich versuche, jemanden zum Stehen zu bringen und er auf den Warnschuss mit der Signalpistole nicht reagiert, will ich, dass du schießt.
Sein Befehl erschreckte mich nicht. Er machte mich in diesem Moment zum Verantwortlichen für den Schutz der anderen, meiner Kameraden. Während der Ausbildung hatten wir verschiedene unübersichtliche Situationen geübt. Szenarien, in denen wir scharf hatten nachdenken müssen, wie wir die Gefährdung stoppen konnten. Viele von uns, auch ich, waren zu einem Entschluss gekommen, und wir wiederholten es oft: Lieber gehe ich in Deutschland in den Knast, als in Afghanistan für den Tod eines Kameraden verantwortlich zu sein. Das befreite uns nicht vom Nachdenken. Von der kritischen Analyse einer Situation. Aber jetzt, auf dieser Straße in Afghanistan erschien es mir ganz klar. Ich hatte in diesem Augenblick nur ein Ziel. Meine Kameraden zu schützen. Ich schaute ihn an und nickte deutlich.
Die Kampfmittelbeseitiger waren schon länger im Einsatz und gingen routiniert vor. Zwei näherten sich dem Culvert von der Seite. Ich sollte gemeinsam mit Kruschka von der Straße aus beobachten, da unsere Gewehre Zielfernrohre hatten und die Straße etwas erhöht lag. Langsam näherten sich die Männer dem Culvert. Sie gingen überlegt und vorsichtig vor. Zu oft schon hatte eine solche Straßenbombe Kameraden das Leben gekostet. Ich beobachtete aufmerksam die Umgebung, die still in der Mittagssonne vor uns lag. Jederzeit rechnete ich mit einer Explosion, einem großen Knall, irgendetwas Lautem, Furchtbarem. Nichts geschah. Schwitzen. Stille. Nach einer endlos wirkenden Zeit kehrten die Männer zu den Fahrzeugen zurück.
Fehlanzeige, bemerkten die Kampfmittelbeseitiger knapp.
Auf dem Rückweg ins Feldlager sprach Muli noch über einige Dinge, die ihm wichtig waren.
Ich will, dass ihr euch die Karte nehmt und die Codenamen der Straßen lernt, fing er an. Das hilft euch beim Orientieren. Und ihr wisst so immer, wo ihr euch ungefähr befindet. Das ist im Gefecht besonders wichtig, aber auch, wenn wir aus irgendeinem Grund getrennt werden sollten.
Trotz des Motorenlärms war im Dingo ein leichtes Murren zu hören.
Mulis Tonfall wurde etwas schärfer: Hey, hört auf damit. Die anderen machen so etwas vermutlich nicht. Aber ich habe euch gesagt, bei mir müsst ihr mehr arbeiten. Ich will, dass ihr über alles gut Bescheid wisst.
Auch ich spürte nach den ohnehin schon anstrengenden ersten Tagen keine Lust, abends noch Straßennamen auswendig zu
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