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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
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lernen. Trotzdem gefiel mir Mulis Herangehensweise. Sie stärkte mein Vertrauen in seine Führung.
    Im Feldlager kehrte ich zu meinem Spind zurück, den ich noch fertig sortieren musste, die anderen legten sich entweder ins Bett oder bastelten an ihrer Ausrüstung herum. Fast alle ließen ihre Türen offen stehen. Jonny betrat den Flur und schleppte einen großen Haufen Draht hinter sich her. Ich konnte sofort erkennen, dass es sich um die Seitenwände von Hescos handelte. Diese waren sehr stabil und trotzdem mit dem Bolzenschneider gut zu bearbeiten. Er machte sich mit dem gleichen Eifer ans Werk, den er immer zeigte, wenn er etwas an der Ausrüstung veränderte. Interessiert beobachtete ich, wie er die Drahtelemente zerschnitt und wieder zusammenfügte, bis er schließlich einen rechteckigen Kasten daraus geformt hatte. Kruschka, der mit Jonny in einen Container gezogen war, gesellte sich dazu. Als die beiden den großen Kasten aus Drahtmaschen schließlich aufrichteten, konnte ich langsam erahnen, was die beiden dort zusammenbauten.
    Ihr solltet den Schrank an Ikea verkaufen, bemerkte ich scherzhaft, als sie aus zwei weiteren Drahtstücken bewegliche Türen montierten.
    Der Container ist eh schon so eng, erklärte Jonny. Und wenn wir die verschwitzte Ausrüstung da drin ausbreiten, stinkt es bestialisch. Aber du weißt doch, wie es ist: Sobald du eine Sache auf’m Flur aufhängst, hast du am nächsten Morgen zwei davon.
    Er sagte es mit einem sarkastischen Tonfall, der das Problem des Diebstahls in der Bundeswehr harmloser wirken ließ, als es tatsächlich war.
    Jetzt habe ich einen stabilen Schrank für den Flur, der durch den Draht durchlässig ist, so dass alles auslüften kann. Und abschließen kann ich ihn auch, erklärte er noch, während er die beiden Drahttüren mit einem Vorhängeschloss verband.
    Nachmittags lag ich auf dem Bett in Butchs und Dollis Container. Die beiden schnarchten und ich ließ meine Gedanken kreisen. Der Fernseher war eingeschaltet, polnisches Viva. Lieder, die ich inzwischen fast auswendig kannte. Absurde Geschichten in den Musikvideos. Puppen, die gemeinsam mit Menschen in ein Mikrofon sangen, zwei Verliebte in einer orientalischen Stadt, ein Baby mit einem dicken Schnurrbart. Ich schlief ein.
    Ein furchtbarer Knall riss mich in der Dunkelheit aus dem Schlaf, der Container zitterte kurz.
    Was war das, rief ich erschreckt, noch schlaftrunken.
    Butch brummte nur: Beruhig dich, Mann, das war die Drohne.
    Ich erinnerte mich an die großen und kleinen Überwachungsdrohnen. Die größte wurde meistens spätabends über einen Raketenantrieb von einem Lastwagen aus gestartet. Die Zündung verursachte einen ohrenbetäubenden Knall. Der Startbereich lag genau neben unseren Schlafcontainern.
    In der Dunkelheit der beginnenden Nacht brachte mir der Blick auf mein Handy ein Gänsehautgefühl ein. Ich las die Worte »Ich vermisse dich« ganz deutlich auf dem Display. Als ich mir sicher war, in einer ruhigen Ecke neben den Containern ungestört zu sein, nahm ich endlich allen Mut zusammen und drückte die Tasten in der Reihenfolge, die mich nach Hause führte. Ich musste schlucken, als ich die vertraute und trotzdem so ferne Stimme hörte.
    Wie war dein Tag, war das Erste, was ich mit Mühe herausbrachte und das mir sofort ziemlich dämlich vorkam, um solch ein Gespräch zu eröffnen.
    Ich vermisse dich, hörte ich, und die Worte hinterließen ein wärmendes Gefühl, das sich tief in mir ausbreitete.
    Meine Antwort war kurz, trotzdem brauchte ich einen Moment, um sie auszusprechen: Ich dich auch, sagte ich mit zitternder Stimme.
    Danach erzählte sie mir tatsächlich von ihrem Tag, wie sie mittags nach Hause gekommen war, welche Menschen sie in der Stadt getroffen und was sie gegessen hatte. Vertraute Banalitäten. Heimat.
    Ich wusste in diesem Moment nicht genau, warum es mir so schwerfiel, das Gespräch zu eröffnen, mit ihr zu sprechen. Ich wusste aber, dass es mir unendlich viel bedeutete, ihre Stimme zu hören. Während wir sprachen, dachte ich an die langen Abende, an denen ich versucht hatte, mit ihr über den bevorstehenden Einsatz zu reden. Sie hatte das Gespräch immer wieder von diesem Thema weggelenkt. Mir war dabei nur in den Sinn gekommen, dass sie mich und meine Arbeit, meine Aufgabe, die ich mir selbst gegeben hatte, nicht unterstützen wollte. Oft genug war ich darüber sauer geworden, hatte manchmal sogar das Zimmer verlassen. Ich hatte einen geraden Fokus auf meine Arbeit,

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