Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
Vom Netzwerk:
überstehen. Solange sie auch dauerte. Denn wann der Einsatz beendet sein würde, wussten wir immer noch nicht. Ich dachte an den Brief, den ich ihr zum Abschied geschrieben hatte. In diesem Augenblick wurden meine Augen feucht.
    Am folgenden Freitag konnten wir endlich ausschlafen. Es stand keine Notfallbereitschaft mehr an. Diese übernahm nun ein anderer Zug. Und weil wir in keinen anderen Aufträgen gebunden waren, hatten wir ausnahmsweise den ganzen Tag zur freien Verfügung. Außerdem war im Feldlager Baseday. Nossi hatte mir am Vortag erklärt, dass der Freitag für Muslime in etwa das darstellte, was für uns der Sonntag war. An diesem Tag ruhte alle Arbeit. Weil sich deshalb kein afghanischer Arbeiter im Feldlager aufhielt, hatte das deutsche Kommando entschieden, den deutschen Soldaten den Freitagvormittag frei zu geben. Es gab für die Soldaten im Einsatz kein Wochenende, weshalb diese Regelung getroffen wurde, um wenigstens ein wenig Abstand vom Alltag zu ermöglichen. Natürlich betraf das nicht alle, denn ein gewisser Grundbetrieb musste immer aufrechterhalten werden. Und uns betraf diese Regelung ebenfalls nicht, da unsere Aufträge ganz anders waren als die der zahlreichen Handwerker, Köche, Verwaltungsmitarbeiter, Tankwarte, Mechaniker oder Lageristen, die hier im Feldlager stationiert waren. All diese Soldaten hatten natürlich ebenfalls sehr wichtige Aufgaben in den verschiedensten Bereichen. Aber sie unterschieden sich in einem wichtigen Punkt von uns. Sie waren für den Betrieb des Feldlagers verantwortlich und in dieser Funktion unerlässlich. Wir führten den eigentlichen Auftrag in diesem Land durch, der diesem Einsatz zugrunde lag. So entstanden zwei Parallelwelten, die mehr zu kollidieren als gemeinsam zu funktionieren schienen.
    An meinem ersten Baseday genoss ich das lange Ausschlafen, auch wenn mir dafür nur das zum Sofa umfunktionierte dritte Bett von Butch und Dolli zur Verfügung stand. Als ich am Vormittag die Augen aufschlug, sprang ich sofort auf. Der Rest von dem, was ich unter normalen Umständen als Atemluft bezeichnet hätte, ließ mir keine Wahl, als den Container zügig zu verlassen. Das laute Schnarchen der beiden stämmigen Kerle trug sein Übriges dazu bei. Schnell schlüpfte ich in den Feldanzug, ohne den sich niemand im Feldlager bewegen durfte, es sei denn, er wollte zum Sport. Auf dem Flur traf ich Purzel, der mich gleich ansprach.
    Willst du noch essen gehen?, fragte er mich.
    Nee, ich glaub, dafür ist es zu spät.
    Was hältst du davon, wenn wir zum Kuddelmarkt gehen?, schlug er vor.
    Mit dem Kuddelmarkt meinte er den afghanischen Markt, der jeden Freitagvormittag im Feldlager abgehalten wurde und von dem wir schon viel gehört hatten.
    Auf dem Weg zum Kuddelmarkt mussten wir uns ein paarmal durchfragen. Er lag in einer Ecke hinter dem Haupttor, etwas abseits vom Rest des Feldlagers. Ich stellte später fest, dass es eine direkte Verbindung zum Wachgebäude am Tor gab. So konnten die Händler beim Ein- und Ausgehen schneller abgefertigt und besser überwacht werden.
    Der Kuddelmarkt war in einem Gebäude mit mehreren kleinen Räumen untergebracht. Als wir ankamen, hatten die Händler vor dem kleinen Holzhaus Tische aufgestellt, auf denen sie ihre Waren ausgebreitet hatten. Es herrschte dichtes Gedränge, der Markt war gut besucht. Neben deutschen sah ich auch amerikanische, belgische und armenische Soldaten vor den Tischen stehen und die Auslagen begutachten. Einige schienen mit den Händlern um Preise zu feilschen. Zu meiner Überraschung entdeckte ich Muli gleich am ersten Stand. Er unterhielt sich angeregt mit einem schmalen, kleinen Mann, der weite afghanische Gewänder unter einer dünnen, schwarzen Weste und eine Brille trug. Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig, er hatte eine hohe Stirn und lichtes Haar auf dem braungebrannten Kopf.
    Muli lachte, gestikulierte wild mit Händen und Füßen und winkte mich freudig herbei, als er mich sah.
    Das ist mein guter Freund Ajmal, stellte er den Mann vor. Ich kenne ihn seit meinem ersten Einsatz hier. Er arbeitet als Schneider im Feldlager und hat sich selbst Deutsch beigebracht.
    Salam aleikum, sagte ich und beugte den Kopf. Ich hatte mir vorgenommen, alle Einheimischen in der muslimischen Weise anzusprechen. Zum einen wollte ich dadurch von vorneherein meinen Respekt bekunden, zum anderen Vertrauen schaffen, da mir Muli schon in Deutschland erklärt hatte, welche große Rolle Höflichkeit in dieser Kultur spielte.

Weitere Kostenlose Bücher