Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
mit unserem Treue um Treue?
Der Vorschlag von TJ gefiel allen.
Okay, rief Muli begeistert. Dann ruft das immer einer, wenn wir losfahren. Wer ist der Erste?
Mica, mach du das, sagte ich schnell.
Treue um Treue!, brüllte Mica ins Fahrzeug.
Wie aus einem Mund antwortete jeder von uns, schrie ein lautes »Aauuh«, das sich wie das Brüllen eines Gorillas anhörte. Es war ganz spontan gekommen. Es hörte sich stark an. Ich fühlte mich stark. Unser Teamgeist hatte das bewirkt.
Die Klimaanlage brummte und die Lüftung rauschte. Trotzdem schwitzten wir in der stickigen Luft im Fahrzeug. Als wir aus der Stadt heraus in den Distrikt Chahar Darrah abbogen und ich ständig mit dem Knall einer Explosion rechnete, wurde jeder Meter zu einem unbekannten Abenteuer.
Fahr langsamer, befahl Muli TJ, der die Fahrzeuge hinter uns in eine Staubwolke hüllte.
Wir fuhren holpernd über den Culvert, den wir vor kurzem noch überprüft hatten, und befanden uns jetzt in der Raumüberwachung. Präsenz im Raum zeigen, Verantwortung wahrnehmen. Das war unser eigentlicher Job hier.
Das Polizeihauptquartier lag nur wenige Kilometer außerhalb der Stadt Kundus. Zwei Dörfer und einige Armeeposten der Afghanen säumten den staubigen Weg dorthin. Am heikelsten erschien mir die Passage der Brücke über den Kundus-Fluss. Eine lange Stahlkonstruktion, die an den steilen Ufern nur locker auf dem Boden zu liegen schien. Die Fahrbahn glich einer großen Tischplatte, die im Regen wellig geworden war. Muli wies uns an, den Blick nach Norden zu wenden, wo die feindlichen Stellungen nur wenige hundert Meter entfernt lagen. Aber genau wusste man das wohl nicht. Afghanische Polizisten sicherten die beiden Zufahrten zur Brücke und hielten für uns den Verkehr der Einheimischen an. Für den Moment fürchtete ich mich allerdings weniger vor irgendeinem unsichtbaren Feind als davor, die baufällige Brücke könnte unter der Last der schweren Gefechtsfahrzeuge zusammenbrechen.
Unser Ziel tauchte als graugelber Klotz vor uns auf. Die grob errichtete Außenmauer des Polizeihauptquartiers von Chahar Darrah war mit Sandsäcken und Nato-Stacheldraht bekrönt. Neben den Wachtürmen waren nur einige Antennen zu erkennen. Gegenüber vom Haupttor waren einige Läden aufgebaut, die eher baufälligen Bretterbuden glichen, viele Zivilisten tummelten sich davor. Eine Panzerkette war quer in den Sand der Straße eingelassen worden, um den Verkehr zu verlangsamen. Bestimmt aus einem russischen Panzerwrack, dachte ich im Stillen.
Ein afghanischer Polizist öffnete das große Tor. Im Innenhof herrschte eine gelöste Atmosphäre. Die Infanteriekompanie, die wir aus der Raumverantwortung ablösen sollten, war abmarschbereit im Hof versammelt. Nach fast vier Monaten näherte sich ihr Einsatz dem Ende. Die wuchernden Bärte und zerzausten Haare der Kameraden zeugten davon, wie viel Zeit vergangen war.
Sauber und frisch rasiert fuhren wir durch das Tor, und ich begann, den Innenhof zu betrachten. In der Mitte befanden sich zwei große Gebäude. Das Rechte hatte zwei sandsackbewerte Türme, war grau und wirkte unfertig. Das Linke war sandfarben angestrichen und hatte Glasfenster. Eine Handvoll afghanischer Polizisten saß gelangweilt im Schatten davor und beobachtete das Treiben im Hof. Es war ihre Station, und wir sollten hier mit ihnen zusammenarbeiten. Grober, weißer Kies bedeckte den Boden, und ein paar beschädigte Nebengebäude und rostige Container standen herum. Das Polizeihauptquartier erweckte eher den Eindruck eines baufälligen Fabrikgeländes. Zu meiner Überraschung entdeckte ich auch amerikanische Soldaten auf dem Gelände.
Nach kurzer Zeit waren alle Fahrzeuge versammelt. Im nun entstehenden Trubel musste eine neue, unerfahrene Kompanie in das Polizeihauptquartier eingewiesen und eine alte, erfahrene Kompanie herausgelöst werden. Jeder versuchte sich in dem Gewühl zurechtzufinden.
Für den Augenblick erschien es uns am wichtigsten, nicht als Letzte einen Raum zugewiesen zu bekommen. Wir hatten inzwischen herausgefunden, dass das große, graue Gebäude als Unterkunft für die deutschen Soldaten diente. Auch die Amerikaner hatten hier ihren Schlafraum, allerdings etwas abseits und getrennt vom Rest des Gebäudes. Über hundert Soldaten strömten nun in das Innere. Die Offiziere, um sich einen Überblick zu verschaffen, die Mannschaften, um einen guten Schlafplatz zu finden.
Gemeinsam mit vielen anderen schleppte ich meine Sachen in den sehr geräumigen
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