Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
uns gegenseitig auf die Füße zu treten. Die Scherze der vergangenen Tage waren einem tiefen Ernst gewichen. Wir sahen uns einer gewaltigen Herausforderung gegenüber. Im Gegensatz zu den meisten anderen war ich jedoch gelassener. Die letzten Tage hatten gezeigt, dass ich gut zurechtkam und mich dem neuen Umfeld angepasst hatte. Die Sorgen der letzten Tage verflogen wie ein Windhauch angesichts der Vorfreude, die mich mehr und mehr ergriff. Vorfreude darauf, dass ich Neues sehen würde und meine Fähigkeiten endlich anwenden konnte. Dass dies auch bedeutete, dem Krieg sehr nahe zu kommen, ja ihn selbst führen zu müssen, beunruhigte mich immer weniger. Und wie jeder Mensch, der ein neues Spielzeug besaß, war ich in großer freudiger Erwartung, meine ganze neue Ausrüstung auszuprobieren. Ich fühlte mich wie ein Kind an Weihnachten.
RAUMVERANTWORTUNG
Alle Züge der Kompanie waren frühmorgens auf dem Ehrenhain aufgefahren. Es war bereits taghell, während die Sonne langsam über dem Horizont erschien. Der Golf Zug sollte als Erster abfahren, hinter uns hatten sich Foxtrott, Hotel und India angegliedert. Da die Panzergrenadiere vom India Zug noch immer keine Schützenpanzer zur Verfügung hatten, sollten sie die beiden Höhen 431 und 432 besetzen. Der Rest der Kompanie sollte ins Polizeihauptquartier des Distrikts Chahar Darrah fahren, um die zweite Infanteriekompanie des Feldlagers abzulösen, die seit zwei Wochen draußen war, und von dort aus operieren. So hatte Mü es uns während der Befehlsausgabe mitgeteilt.
Die Höhen waren zwei Hügel, die ich bisher nur von Bildern kannte. Zwei steile Kegel mitten in dem flachen Tal mit der Stadt Kundus als Zentrum. Ein paar hundert Meter vom Polizeihauptquartier entfernt, das unser Ziel sein sollte. Das Dorf Isa Khel lag ebenfalls in nächster Nähe. Dies alles im Distrikt Chahar Darrah, jener unruhigen Gegend, die seit langem eine Hochburg der Aufständischen war.
Die beiden Höhen hatten ihre Namen 431 und 432 von der Nato bekommen, die alle militärisch relevanten Punkte durchnummeriert. Die Höhen waren wichtig, weil man von dort die gefährliche und unruhige Gegend überwachen wollte. Von einer vollständigen Kontrolle des Distrikts waren wir jedoch weit entfernt.
Oben auf den Höhen war ein Zug, aufgeteilt in zwei Besatzungen, eingesetzt. Deutsche Soldaten hatten mit Sandsäcken und Hescos befestigte Stellungen angelegt. Auch die Russen waren schon hier oben gewesen. Vor einigen Tagen hatte es wieder einen Sprengstoffanschlag gegeben, niemand war ernsthaft verletzt worden. Mit dieser Lage sahen wir uns konfrontiert, als wir an diesem Morgen die Fahrzeuge bestiegen.
Ich setzte meinen neuen Helm auf.
Was haste da hinten draufgeschrieben?, fragte Hardy mich, als er zu mir herüberschaute.
Ich hatte gestern nach der Befehlsausgabe auf dem Bett gesessen und nachgedacht. Mir waren die amerikanischen Soldaten in Vietnam in den Sinn gekommen, die Sprüche auf ihre Helme geschrieben hatten, um ihre Stimmung zum Ausdruck zu bringen. Dieser Einsatz war kein Job wie jeder andere. Ich wollte meiner Entschlossenheit Ausdruck verleihen. Als ich den schwarzen Stift wieder absetzte, standen die wenigen Worte in dicken schwarzen Buchstaben auf der Rückseite meines Helmes: We’ve come to kick some tail. »Wir sind gekommen, um in Ärsche zu treten.«
Kurz vor der Abfahrt aus dem Feldlager gab es noch Abstimmungsschwierigkeiten. Eine Kompanie, vier Züge, einhundertfünfzig Soldaten. Es dauerte eine ganze Weile, ehe die einzelnen Zahnräder ineinandergriffen und zu einem Uhrwerk verschmolzen, das tadellos lief. Von überall her wurden Befehle gebrüllt, weil die Motoren der Dingos, Transportpanzer, des Jammers und der Lastwagen laut rumorten. Eilig liefen Soldaten zwischen den Fahrzeugen hin und her. Ein paar lagen demonstrativ auf dem Dach ihres Fahrzeuges in der Sonne, die Gesichter von den Sonnenbrillen verdeckt. Der Chef stand mitten auf dem Platz, umringt von den meisten der Feldwebel. Immer, wenn er mit der Hand irgendwo hindeutete, eilte einer der Umstehenden in diese Richtung.
Als wir auf der Hauptstraße nach Kundus waren, drehte sich Muli nach hinten.
Hört mal, ich will, dass wir uns einen Spruch überlegen, wenn wir rausfahren. Irgendwas zur Motivation. Fällt euch was ein?
Wie wärs mit Ehre und Stärke, das ham die römischen Legionen gesagt, schlug Mica vor.
Nee, das mit dieser Ehre klingt irgendwie zu abgedroschen, bemerkte ich zweifelnd.
Was ist denn
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