Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
dass du vor die Buschreihe vor uns gehst und mein Auge bist.
Bin schon weg, war meine Antwort, aber Muli hielt mich zurück.
Du wirst da vorne keine Deckung haben. Machst du das trotzdem?
Ja, sagte ich mit fester Stimme und ohne Angst.
Ich sprang über den Graben und fiel auf den Boden. Kriechend zwängte ich mich durch eine Lücke zwischen den Ästen.
Auf der rechten Seite tauchte eine Staubwolke auf. Ein weißer Toyota Corolla raste nach links über einen Weg, den ich nicht einsehen konnte. Kopf nach hinten drehen, Muli fixieren. Er gab mir ein Zeichen, dass er den Wagen auch bemerkt hatte. Gespannt blickte ich wieder durchs Zielfernrohr.
Der Wagen ist voller Männer, meldete ich ihm.
Seine Antwort war kurz. Wenn du Waffen siehst, schießt du sofort auf sie.
Ich presste das Auge gegen das Zielfernrohr und spähte gespannt. Dichter Staub hüllte den Wagen ein. Ich konnte nur die Motorhaube erkennen, schwarze Gestalten. Sie spähten herüber. Hatten sie mich erkannt? Ich wischte mir über die Augen. Plötzlich riss die Staubwolke für einen Moment auseinander. Mein rechter Zeigefinger war am Abzug der Waffe. Noch immer konnte ich nichts erkennen. Ich wartete. Schließlich verschwand das Auto in einer Staubwolke hinter einer Biegung. Die Sonne lag tief über dem Horizont und kündigte die nahende Dunkelheit an.
Fertigmachen zum Abmarsch, hörte ich Muli sagen.
Ich kroch zurück.
Das waren mit Sicherheit welche von denen, erklärte Muli. Die waren im nächsten Dorf und irgendjemand hat angerufen, dass wir kommen. Also sind die, so schnell es ging, zurückgefahren. Die normalen Bauern fahren nicht so schnell, dafür sind die Autos zu teuer.
Blöd, dass ich keine Waffen erkannt habe, bemerkte ich kurz.
Wir marschierten im Dunkeln zurück, erst zur Höhe 432, dann fuhren wir mit den Fahrzeugen ins Polizeihauptquartier. Völlig erschöpft schleppte ich mich zur Wache auf dem Turm. Danach ins Feldbett, umdrehen, Augen zu.
Am nächsten Morgen befand sich vor der Dusche eine Schlange. Wir mussten uns beeilen, denn nach kurzer Zeit brachen wir mit den Fahrzeugen zur Patrouille auf. Einmal zur Stadt, dann zur Westplatte und wieder zurück. TJ war unkonzentriert. Muli musste seine Befehle mehrfach wiederholen und fuhr ihn an.
TJ, guck auf die Straße und hör zu, schnauzte er.
Bei einem kurzen Beobachtungshalt wandte sich Muli an uns.
Ich muss euch noch über etwas Wichtiges informieren, fing er an. Gestern gab es beim Hotel Zug Unstimmigkeiten, weshalb wir deren Stellung übernehmen sollten. Einer der Gruppenführer vom Hotel Zug hat einen Befehl vom Chef verweigert, es gab Tumult und Streit.
Wir stutzten und schauten Muli an, als hätten wir nicht verstanden, was er gesagt hatte.
Muli wollte nicht zu sehr ins Detail gehen: Das kam alles noch gestern Abend bei der anschließenden Lagebesprechung heraus. Der Gruppenführer hat da vorne in der Stellung gesagt, dass er jederzeit bereit ist, Standardaufträge zu übernehmen, aber keinen Bock hat, seinen Kopf für die Abenteuerlust vom Chef hinzuhalten, bloß weil der so offensiv vorgehen will.
Aber der Chef hat den Führern doch vor dem Einsatz ganz klar gesagt, was er vorhat und wie er das umsetzen will, wunderte ich mich.
Und vor allem hätte er doch dann nicht mitzukommen brauchen, ergänzte TJ.
Überlegt euch mal, was das gestern für den Rest des Hotel Zuges bedeutet hat. So was in so ’ner Situation loszutreten, wo wir jederzeit mit Feindkontakt rechnen müssen, war Micas sachlicher Kommentar.
Ja, sagte Muli ernst. Für mich ist das ganz klar Feigheit vor dem Feind. Ich sag euch nicht, wer es war, solange wir noch draußen sind. Ihr werdet es sowieso mitbekommen, weil derjenige jetzt nach Hause fliegt.
Ob der Chef das veranlasst oder der betreffende Gruppenführer dies selbst entschieden hatte, konnte Muli nicht beantworten.
Im Polizeihauptquartier nahm ich TJ zur Seite.
Was is los, fragte ich auffordernd, weil ich spürte, dass er etwas mit sich herumtrug. Er wirkte angespannt und hätte auf dem Rückweg aus Unachtsamkeit sogar beinahe einen Jungen überfahren.
Ach, Scheiße is los, fing er an zu erzählen. Vor ein paar Tagen hab ich bei Facebook gelesen, dass mein Bruder mit meiner Freundin zum Shoppen gegangen ist. Das lässt mich seitdem nicht mehr los.
Vertraust du ihr?, fragte ich und blickte ihn dabei forschend an.
Er überlegte kurz. Ja, tue ich. Eigentlich auch bedingungslos. Aber die haben früher nie was miteinander zu tun gehabt. Und
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