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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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antwortete ich einem besonders hartnäckigen Journalisten, bisher seien alle meine Vorgänger aus dem Schöneberger Rathaus in den Himmel oder nach Bonn gekommen; ich überlegte noch, wofür ich mich entschiede, zumindest in welcher Reihenfolge.
    In Wahrheit ging es um eine schwierige Entscheidung, nicht nur für mich selbst. Das allgemeine Zögern war verständlich. Naheliegenderweise dachte Kohl zunächst weniger an das Amt des Staatsoberhauptes als an die Lage seiner Partei. Er wollte die anstehenden Landtagswahlen in Hessen und Bremen abwarten. Nachdem beide über Erwarten schlecht für die CDU verlaufen waren, sorgte er sich desto mehr um die Chancen der Berliner Partei bei den nächsten Wahlen. Er hatte also gute Gründe, sich im Abwarten zu üben und inzwischen für das Bundespräsidentenamt nach Alternativen Ausschau zu halten.
    Die öffentliche Diskussion ging indessen heftig weiter. Meine Amtsführung als Regierender Bürgermeister war im allgemeinen positiv bewertet worden. In den Unionsparteien war mein Ansehen nach all meinen ostpolitischen »Sünden« dadurch wieder
deutlich gestiegen. Das hatte nun eine ambivalente Wirkung. Die einen, zumal viele Berliner, wollten, daß ich eben deshalb in der geteilten Stadt blieb. Andere aus nah und fern sahen dagegen gerade in meiner Berliner Rolle eine besondere Empfehlung für das Amt des Bundespräsidenten.
    Während in den Medien überwiegend zugunsten meiner Nominierung für die Nachfolge von Carstens argumentiert wurde, traten Teile der Springer-Presse und vor allem die FAZ mit mehreren Artikeln für meinen Verbleib in Berlin ein. Die Debatte gipfelte im Feuilleton der FAZ mit einem spektakulären Artikel; ausnahmsweise war er nicht von Redakteuren namentlich gezeichnet; nur drei Sterne figurierten als Autoren. Zunächst wurde ich ausführlich und über den grünen Klee gepriesen, weil ich das Klima Berlins gewendet und der Stadt wieder Zutrauen zu sich selbst verschafft hätte. Dann folgte dem langen Anvisieren der knappe Schuß ins Ziel: Würde ich jetzt das Feld räumen, dann dementierte ich damit meine eigene Person. Ich bedauerte die Anonymität dieser Kritik, die in der Gestalt eines Lobes auftrat. Dennoch war der Beitrag ein ernster Aufruf in einer für mich harten persönlichen Entscheidung.
    In Berlin war ich fest verankert. Die Aufgaben in der Stadt und vor allem die Menschen in Ost und West beanspruchten und erfüllten mich ganz und gar. Entgegen wiederholten Zeitungsgerüchten wollte ich keiner zukünftigen Bundesregierung angehören, sondern auf die Dauer in und für Berlin wirken. Das war es, was ich auch öffentlich erklärt hatte. Ein Rücktritt vom Bürgermeisteramt würde Enttäuschungen auslösen, das war mir klar, auch bei engeren Freunden innerhalb und außerhalb des politischen Kollegenkreises.
    Dennoch fühlte ich mich in der langfristigen Perspektive auf den anderen Weg zum selben Ziel gewiesen. Die Lage in meinem Berliner Verantwortungsbereich war einigermaßen geordnet. Das Wichtigste war gelungen, nämlich die Stimmung in der Stadt aus ihrem Tief zu befreien. Entscheidend blieb es, die Erfahrungen und die zukünftigen Aufgaben Berlins im größeren Rahmen der Deutschland- und Ostpolitik bundesweit zur Sprache und Geltung zu bringen. Ein Verfassungsorgan des Bundes konnte dies besonders wirksam tun, daran gab es keinen vernünftigen Zweifel, für viele Ratgeber sowenig wie für mich selbst. Auch Bundespräsident Carstens bezog mir und Kohl gegenüber mit Nachdruck diesen Standpunkt; ferner wies er auf eine positive Wirkung bei den Deutschen in der DDR hin, falls ich sein Nachfolger würde. SPD und FDP kündigten an, im Falle meiner Nominierung keinen Gegenkandidaten aufzustellen. Mir selbst war ich ganz sicher, daß ich bei einem Wechsel des Amtes die Aufgaben in Deutschland mit einem Berliner Kopf und Herzen wahrnehmen würde.

    Immer wieder gaben mir ausgedehnte Bergtouren Erholung vom Amt. Hier war ich auf der vergletscherten Wildspitze in Tirol.

    Im Vorstand und Präsidium der Partei schwieg man sich aber noch immer aus. Kohl zögerte weiterhin. Allmählich drohte das Zaudern in Demontage auszuarten. Wieder einmal geriet die Union in den Verdacht, mit dem Amt des Bundespräsidenten nur zugunsten anderer, ihr wichtigerer Fragen zu jonglieren. In Berlin wuchs die Irritation.
    In dieser Lage unternahm der bayerische Ministerpräsident eine seit langem geplante Reise nach Berlin. Ohne mich vorzuwarnen, verkündete er zu ihrem

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