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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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beruhigende Worte ins Ohr«. So war es aber nicht. Trotz meines unveränderten prinzipiellen Respekts vor Neuenfels war ich, ganz anders, als meine Frau glaubte, nicht beunruhigt, sondern stolz auf ihre Reaktion. Sie stand im übrigen keineswegs allein mit ihrem Protest. Die Aufführung auf der Bühne wurde streckenweise von einem solchen Aufruhr im Publikum begleitet, daß es beinahe zu einem Abbruch gekommen wäre. Die überaus heftigen positiven und negativen Zwischenrufe hielten sich ungefähr die Waage. So ist das eben, und warum auch nicht? Theater soll uns doch nicht wonniglich einschläfern, sondern beteiligen. Daß sich später einmal mein österreichischer Präsidentenkollege über die Aufführung des »Heldenplatzes« von Thomas Bernhard im Wiener Burgtheater erregen würde, war verständlich. Aber an der Qualität und dem Sinn dieses Stückes nebst seiner Peymannschen Inszenierung ändert dies nichts.
    Die Bühnen materiell am Leben zu halten ist immer wieder schwer. Kaum hat jemand das Wort Theater ausgesprochen, schrillt sofort aus allen Ecken das Abwehrecho: Subventionen überprüfen! Aber was verstehen wir eigentlich unter Subventionen? Die Unterstützung für einen im Grunde lebensuntüchtigen Betrieb, der sich aus eigener Kraft nicht über Wasser halten kann? Nun - schon Adam Smith aus Glasgow erkannte Wert und Grenzen des Marktes: Er dient der Wohlfahrt der Nationen, kann aber solche Bereiche nicht bewirtschaften, die verdienstfrei oder aus sozialen und geistigen Gründen nur begrenzt verdienstfähig sind, nichtsdestoweniger aber benötigt werden. Was soll da der Begriff Subventionen?
    Lebt der Schulbetrieb von Subventionen? Bauen wir Parkplätze oder Kläranlagen mit Subventionen? Halten wir uns Vormundschaftsrichter oder Bürgermeister mit Subventionen? Niemand würde auf die Idee kommen, die dafür aufgewandten
Haushaltsmittel Subventionen zu nennen. Wir brauchen sie, aber Theater brauchen wir auch.
    Oder ist Theater doch nur Luxus? Dann ist der Bürgermeister eben auch Luxus. Auf welchen von beiden können wir eher verzichten? Das mag jeder nach eigenem Gusto entscheiden. Nach meiner Meinung auf keinen von beiden, wohl aber auf die schiefe Begriffskategorie Subventionen.
    Theater ist Spiel zur Bewältigung des Lebens. Wir alle spielen es als Kinder. Man könnte meinen, das Schönste am Theater sei vorbei, wenn die Kindheit vorbei ist, die Zeit also, in der man es spielt. Aber das Hören und Spielen bleibt lebendig. Es bringt die Kraft hervor, sich nicht nur im Spiegel zu betrachten, sondern einmal neben sich selbst zu treten, mit einem Schritt Distanz dem Menschen zu begegnen, der man ist, seine Zwangslagen, seine Optionen und Entwicklungen zu begreifen, sich selbst zu verwandeln.
    Ist es bloße Schwärmerei, von dieser lebenspendenden Quelle in solchen Tönen zu sprechen? Das erste Leben, das buchstäblich aus den grauenhaften Kriegsruinen in Berlin wieder aufblühte, waren Behelfsbühnen, und die hungrigen Menschen strömten herbei. Die Ruhrfestspiele entstanden gleich nach dem Krieg, weil die besten Hamburger Schauspieler die wärmende Steinkohle suchten und die Kumpel mit ihren Familien das Spiel. Die Einwohner von Nackenheim in Rheinhessen spielten selbst ihre eigenen Zicken und Liebesbeziehungen anhand der Rollen ihrer Vorfahren, die Zuckmayer in seinem »Fröhlichen Weinberg« so hinreißend wirklichkeitsgetreu verewigt hatte.
    Bernhard Minetti spielte den Arbeiter Quangel in Falladas dramatisiertem Roman »Jeder stirbt für sich allein«, und keine eigenen Erfahrungen, kein Memoirenband, kein Buch der Zeitgeschichte ließen uns so tief verstehen, worum es im Herzen wacher Menschen in der Zeit des Krieges und des Unrechts gegangen war, wie diese gewissenhafte, fast wortlose Gestalt, in die sich der große Schauspieler verwandelt hatte. Das ist es,
was geschieht, wenn Kunst sich unseres Lebens annimmt, so schonungslos, so liebevoll, so lebensvoll, wie Kunst es eben kann.
    Natürlich müssen sich Bühnen, zumal sie sich selbst oft als Widerspruch begreifen, auch Widerspruch aller Art gefallen lassen. Gute Stücke zu schreiben und zu inszenieren ist schwer, zumal heute. Wir alle stottern, also stottern auch manche Dichter und Regisseure. Es ist die selbstverständliche Pflicht der Bühnen, über ihre Mittelverwendung öffentlich Rechenschaft abzulegen. Das muß mit jeder staatlich bewilligten Mark geschehen. Der Rechnungshof mag die Theaterverwaltungen so streng überprüfen wie die

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