Vier Zeiten - Erinnerungen
Zwist gegeben, anders als neuerdings in Österreich bei einer mehr oder weniger vergleichbaren Situation.
In diesem allgemeinen Rahmen ist die Person entscheidend für das Amt. Von ihr gehen die Impulse aus, mit allen damit vorgegebenen menschlichen Unterschieden. Jeder Amtsinhaber bringt seine spezifischen Schwerpunkte zur Geltung, und jeder hat es mit den besonderen Problemen seiner Amtszeit zu tun. Für Heuss stand im Zentrum, die Demokratie in Deutschland zu verankern. Lübke trat in überzeugender Weise für Hilfe und Ausgleich zwischen Nord und Süd ein. Dem Bürgerpräsidenten Heinemann ging es um »mehr Demokratie«. Scheel sah seine Priorität in Europa. Carstens brachte alle Regionen unseres Landes mit seinen weiten, die Menschen verbindenden Wanderungen zur Geltung.
In der Exekutive ist das wichtigste Mittel des Politikers, zu handeln. Für den Bundespräsidenten ist es seit Theodor Heuss’ Zeiten die Rede, die sein Handeln ausmacht. In ihrer Anwendung
wird er von den allgemeinen Erfahrungen, Überzeugungen und Ansichten in der Gesellschaft ausgehen. Er wird sie achten, aber auch herausfordern. Es kann ihm sehr wohl darum gehen, Anstöße zu geben. Wer es als Bundespräsident tut, nimmt hin, daß manche an ihm Anstoß nehmen. Er wird sich an Max Webers Worte über die Politik halten: ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß. Nichts anderes hat die Verfassung mit ihm im Sinn, und so ist es in der Praxis.
Konzentration auf Außenpolitik
Zum Zeitpunkt meines Amtsantrittes herrschte einige Unruhe in der Gesellschaft. Mit großer Mühe wurde um die Beendigung eines äußerst langen Arbeitskampfes gerungen. Gemessen an der Anzahl der verlorenen Arbeitstage, war es der härteste in der Geschichte des Landes. Bald darauf erschwerte die Regierungskoalition die Streikbedingungen durch Änderungen des Arbeitsförderungsgesetzes. Die Gewerkschaften empfanden dies bitter.
Unbehagen kennzeichnete auch die Stimmung bei den Parteien. Die SPD hatte kurz zuvor durch eigene innere Konflikte die Macht eingebüßt. Sie suchte nach einem Weg, die Verluste wettzumachen, ohne fündig zu werden. Die FDP hatte mitten in der Legislaturperiode den Regierungswechsel herbeigeführt; sie war also wieder »umgefallen«, mußte deshalb den Verlust alter Wähler durch Gewinnung neuer kompensieren. Aber wie?
Die Union führte die Regierungskoalition an, hatte jedoch auf Anhieb keine glückliche Hand mit der von ihr angekündigten geistig-moralischen Wende. Es kam zur sogenannten Flick-Affäre, zum Verdacht von illegalen politischen Finanzhilfen und von Korruptionsfällen. Die Führung der Koalition legte den
Entwurf für ein »Gesetz zur Regelung steuerlicher Zweifelsfragen bei der Parteifinanzierung« vor. Es war der Versuch einer Generalamnestie für Sünden im politischen Spendenwesen, der allerdings auf scharfen Widerstand stieß, unter anderem beim ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Ernst Benda. Am Tage meiner Wahl durch die Bundesversammlung gab Kohl dann bekannt, daß der Plan nicht weiter verfolgt werde.
Vereidigung als Bundespräsident am 1.Juli 1984.
Das Opfer der nächsten Affäre war der stellvertretende Oberbefehlshaber der Nato, General Kiessling. Erst nach langem Hin und Her wurde er von einem unheilvollen und nie erwiesenen Verdacht rehabilitiert. Insgesamt hatte sich die Stimmung gegenüber der Politik in der Bevölkerung verschlechtert. Von »Parteienverdrossenheit« war die Rede, als ich meinen Dienst in der Villa Hammerschmidt aufnahm.
Auf dieses Unwort alsbald zu reagieren, hielt ich mich
zurück. Bekanntlich mahnt uns George Bernard Shaw in seinen »Ansichten eines kritischen Konservativen« zur Vorsicht im Urteil: »Die Menschheit, die zum größten Teil unfähig ist, Politik zu treiben, unternimmt als leichten und passenden Ersatz, die Politik anderer zu beschimpfen.« Ob dieser scharfsinnige Spötter damit das bürgerliche Urteilsvermögen unserer Zeit richtig einschätzt und ob er insbesondere die hier geschilderten Stimmungen für unbegründet gehalten hätte, ist natürlich zweifelhaft. Wie dem auch sei, Anlässe für eine schlechte öffentliche Atmosphäre kommen und gehen. Jedenfalls hielt ich es nicht für angemessen, in meiner Antrittsrede vor dem Bundestag darauf einzugehen. Dagegen sprach ich vom Arbeitskampf mit seinem hartnäckigen und folgenreichen Übel: Keine der beiden Seiten hatte sich auf die vordringliche Auseinandersetzung
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