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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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Senatskanzlei. Auch dort wird gelegentlich verschwendet, ohne daß sie deshalb eine entbehrliche Luxuseinrichtung würde. Es ist öffentlich schwerer zu begründen, warum es für das tägliche Leben der Kultur und der Kunst bedarf. Aber sie spielen eine unersetzbare Rolle zunächst im menschlichen und sodann auch im wirtschaftlichen und politischen Sinn. Das darf niemand vergessen, der in und für Berlin an der Verantwortung teilhat.
    Im Mittelpunkt der Berliner Musik steht, wie jedermann weiß, das Philharmonische Orchester mit seinem weltweiten Ruf. Wenn wir an einem Konzertabend in der von Scharoun erbauten Philharmonie dieses Ensemble mit seinem Maestro Karajan hörten, dann fühlte ich mich oft wie in der Mitte der Welt oder, was auf dasselbe hinausläuft, ganz weltvergessen. Dadurch kam ich aber nicht darum herum, auch mit den Realitäten in der Zusammenarbeit dieser großen Künstler konfrontiert zu werden. Nicht zuletzt Karajan selbst sorgte dafür. Einmal gab es einen rasch bekannt gewordenen Zwist zwischen ihm und dem Orchester über die Aufnahme der Klarinettistin Sabine Meyer in das Ensemble. Auch mir, dem ganz unschuldigen Regierenden Bürgermeister gegenüber, der ich überdies für Karajans Berliner Aufgaben quasi den Arbeitgeber zu verkörpern hatte, zürnte der Chefdirigent wie ein griechischer Gott.
Wenn das Orchester nicht zustimme, werde er die Klarinettistin als Solistin zu einem Konzert einladen. Dann werde die Presse seinen Schützling über den grünen Klee und weit stärker als das Orchester loben und die unkollegialen Kollegen würden vor Neid erblassen. Aber die Berliner Philharmoniker sind seit ihrer Gründung eine Künstlerdemokratie. Gegen ihr Votum wird bei ihnen niemand Mitglied. Sie bestritten der Klarinettistin durchaus nicht ihre hohen künstlerischen Gaben, hielten sie aber für den Typus einer Solistin, nicht eines Mitglieds im Ensemble. Daß das Orchester in den ersten hundert Jahren seines Bestehens nur vier Chefdirigenten gehabt hat, jeden von ihnen im Durchschnitt also ein Vierteljahrhundert, und daß auch die Musiker des Orchesters selbst ähnlich lange, zum Teil noch weitaus länger zum Ensemble gehörten, ist ein Zeichen ihres herausragenden Ranges.
    Neben den renommierten alljährlichen Filmfestspielen übte die bildende Kunst trotz der Teilung der Stadt ihre traditionelle Berliner Anziehungskraft aus. Zu allen Zeiten hat sich eine Reise nach Berlin allein um der Sammlungen und Ausstellungen willen gelohnt. Im Mittelpunkt stehen die Schätze der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Schlösser und Gärten. Zu meiner Zeit als Bürgermeister kam dank der Stiftung von Karl Bröhan das nach ihm benannte Museum für Jugendstil, Art déco und Funktionalismus zustande, ein Unikum in Deutschland.
    Immer wieder galt es, das überlieferte Erbe zu pflegen und die junge Generation anzuziehen. Am Anfang der achtziger Jahre waren nach schwer überprüfbaren Schätzungen ungefähr zehntausend junge bildende Künstler in der Stadt. Zum größten Teil erarbeiteten sie sich ihren Lebensunterhalt durch kunstferne Nebentätigkeiten, fanden jedoch für ihre künstlerische Inspiration in Berlin die unentbehrliche lebendige Szene.
    Zu den großen und berühmten Beständen Berlins zählte die Sammlung bedeutender Werke von Jean Antoine Watteau, die auf den Alten Fritz zurückgeht. Eines seiner stets am meisten
bewunderten Bilder ist »Embarquement pour Cythère«. Der führende Berliner Kunsthistoriker Otto von Simson meinte, es sei vielleicht das schönste und wichtigste Gemälde, das das achtzehnte Jahrhundert hervorgebracht habe. Damals gehörte es noch dem Hause Hohenzollern. Nun sollte es ins Ausland verkauft werden, was ein schwerer Schlag für Berlin gewesen wäre. Doch wie sollten wir die fünfzehn Millionen DM auftreiben, die notwendig waren, um es für uns zu erhalten? Dank einer gemeinsamen Initiative mit dem kunstsinnigen Altmeister des deutschen Bankwesens, Hermann Josef Abs, gelang die Operation. Er nahm es allein auf seine Verantwortung, ein Drittel der Summe privat zusammenzusammeln und mit zusätzlichen Geldern des Bundes und des Landes dieses für uns so unersetzliche Kunstwerk in der Stadt zu behalten. Wie kaum ein anderer hat sich Abs mit solchen und ähnlichen Initiativen um deutsche Kulturgüter verdient gemacht. Und jeder hat den Gewinn davon, wenn er heute die Sammlung im Charlottenburger Schloß zu Berlin besucht.
    Auch Wissenschaft, Forschung und Lehre spielen in

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