Vier Zeiten - Erinnerungen
diesem Vorbild für alle Bürgermeister der Welt, war ich schon mehrfach durch
seine Stadt gezogen. Unbeschreiblich schwer hatten es ihm Geschichte und Gegenwart gemacht. Nie erlaubte er sich, den Spannungen auszuweichen. Der Verzicht auf jede Gewalt war seine Maxime. Er verkörperte sie vollkommen konsequent und ohne jedes Pathos. Immer ungeduldig, immer rastlos, immer unbequem, bei all seinem Humor keineswegs nur freundliche Worte nach rechts und links ausstreuend, bildete er im entscheidenden Sinne Vertrauen, wo er auch auftrat. Mit ihm in Hemdsärmeln durch die Hauptstadt zu gehen, die gänzlich unbefangene, natürlich-herzliche Reaktion der Menschen aller Herkünfte und Religionen auf ihn zu erleben, das machte einfach Mut.
Bei dem Staatsbesuch ging es nicht um Verhandlungen. Das Wichtige war, daß er überhaupt stattfinden konnte. Zuvor hatte es genug Proteste in Israel gegeben, die zeigten, wie wenig selbstverständlich er war. Nun kam also eine deutsche Maschine mit der Aufschrift »Luftwaffe« angeflogen, eskortiert von israelischen Jagdfliegern. Unten standen der Präsident, der Ministerpräsident und der Sprecher der Knesset des jüdischen Staates, um den Gast aus Deutschland mit einundzwanzig Salutschüssen und mit der Hymne zu empfangen, aus der die Israelis nur das »Deutschland, Deutschland über alles« heraushörten. Allen Mienen war anzusehen, welche Gefühle sie in diesem Augenblick bewegten.
Chaim Herzog, der Staatspräsident, nahm uns sofort unter seine Fittiche. Zusammen mit seiner warmherzigen Frau Aura behandelte er uns wie seine privaten Familiengäste, mit denen man alles offen und schnörkellos besprechen kann. Und so geschah es auch. Er stammte aus Irland und war in Palästina zur Schule gegangen. Während des Krieges war er britischer Offizier. Er gehörte zur vordersten Fronttruppe, die die Überlebenden des Konzentrationslagers Bergen-Belsen befreite. Dann wurde er zu einem der Pioniere beim Aufbau des Staates Israel, ein bewährter Krieger und Diplomat, Politiker und Autor, ein
»Löwe von Staatsmann in einer Welt von Mäusen«, wie ihn die Londoner Times charakterisierte, ohne zu sagen, wer eigentlich mit den Mäusen gemeint war.
Herzog nahm kein Blatt vor den Mund, wenn er sich bei mir bitter darüber beschwerte, daß sich die Bundesrepublik anschickte, eine Munitionsfabrik in Saudi-Arabien zu bauen. Mit derselben Schärfe zieh er den Senat der Hebräischen Universität von Jerusalem der Scheinheiligkeit, weil sie zwar ständig Gelder aus Deutschland entgegennehme, aus prinzipiellen historischen Gründen aber keine Ehrenpromotion für den Gast aus Deutschland vornehmen wolle. Das Martin-Buber-Institut der Universität, das den Vorschlag gemacht hatte, übergab mir daraufhin eine Erstausgabe des von Martin Buber und Franz Rosenzweig ins Deutsche übersetzten Buches Jesaja mit Bubers handschriftlichen Randnotizen, zu Chaim Herzogs und meiner Freude.
Im Mittelpunkt der Reise stand der Gang zur Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Ich hatte sie bei den früheren Israel-Reisen mehrfach besucht. Als ein stummes Monument erinnert sie uns an ein Grauen, das in der Geschichte der Menschen ohne Beispiel ist. Keiner wird sie je vergessen, der dort war.
Es gab politische Gespräche mit der Regierung und den parlamentarischen Führern in der Knesset. Noch war Israel fern vom Friedensprozeß mit Arafat und den Arabern, wie er später in Oslo vereinbart wurde. Aber Shimon Peres, zur Zeit meines Besuches Ministerpräsident einer großen Koalition, suchte den Weg dorthin mit seinem analytischen Scharfsinn und seiner nimmermüden politischen Zähigkeit. Zusammen mit mir fuhr er in die Negev-Wüste nach Sde Boqer, wo Ben Gurion gelebt hatte und begraben ist. Wer dort über die gnadenlosen Gebirgsketten ohne Baum und Strauch weit hinunterblickt in Richtung auf das Tote Meer, der verspürt etwas von der Herkunft der unerbittlichen Härte, mit der die Propheten zu ihrem Volk sprechen. Aber er beginnt auch zu verstehen, was es bedeutet, aus der Wüste der Steine neues Leben zu gewinnen.
Erster deutscher Staatsbesuch in Israel, 1985. Vor der Knesset, dem Parlament, wurden wir mit Brot und Salz empfangen. Rechts der Oberrabbiner, dann Teddy Kollek, den ich als Bürgermeister von Jerusalem schon viele Jahre kannte. Zwischen meiner Frau und mir der Präsident des Staates Israel, Chaim Herzog, ein »Löwe von Staatsmann in einer Welt von Mäusen«, wie ihn die Londoner »Times«
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