Vier Zeiten - Erinnerungen
als »partners in leadership« bezeichnete und fortfuhr, daß nun sehr bald
überall in Osteuropa die Grenzen fallen müßten wie in Ungarn: »Let Berlin be next!« Das war sechs Monate vor der Öffnung der Mauer.
Besuch des amerikanischen Präsidenten George Bush in der Bonner Villa Hammerschmidt im Sommer 1989. Der Kalte Krieg war kurz vor seinem Ende. Präsident Bush, dessen Leidenschaft der Außenpolitik galt und der welterfahren wie nur wenige seiner Vorgänger und ein besonders verläßlicher Freund von uns Deutschen war, setzte auf »Partnership in Leadership« mit Deutschland, was sich während der kritischen Monate der Wiedervereinigung besonders bewährte.
Unmittelbar nach Bush kam Gorbatschow zum lang erwarteten Staatsbesuch nach Bonn. Knappe zwei Jahre hatte ich ihn nicht gesehen. Vom ersten Händedruck an war die Atmosphäre nicht, wie damals im Kreml, korrekt und ziemlich hart, sondern herzlich. Im Garten der Villa Hammerschmidt führte er mit russischen und russischsprechenden deutschen Schülern eine gelöste und fröhliche Unterhaltung. Beim Mittagessen zu viert unter den beiden Ehepaaren Gorbatschow und Weizsäcker erzählte er
ausgiebig aus seiner Kindheit, seiner Lehrzeit und seinem politischen Aufstieg. An diesem warmen Junimittag tat die anziehende, ganz und gar nicht protzige Villa Hammerschmidt mit ihrem schönen, von meiner Frau stets sachkundig und liebevoll betreuten Garten vollends ihren menschlich-politischen Dienst. Sie hatte eine Baugeschichte, die für den Staatsbesuch aus Rußland wie geschaffen schien. Albrecht Troost, ein rheinischer Unternehmer, hatte sie in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gebaut. Der nächste Besitzer, Leopold Koenig, war in Petersburg geboren und als Kaufmann in Rußland mit Zucker reich geworden. Er ist allen Bonnern vertraut, weil er seinem Sohn, einem Zoologen, gegenüber der Villa ein Museum baute, eben jenes Museum Koenig, in dem der Parlamentarische Rat 1949 unter dem Vorsitz von Konrad Adenauer das Grundgesetz beschlossen hatte. Auch der heutige Namensgeber der Villa, Rudolf Hammerschmidt, war Kaufmann in Rußland gewesen.
Im Sommer 1989 besuchte Michail Gorbatschow zusammen mit seiner Frau Raissa die Bundesrepublik. Die Reise führte zu einem für die späteren Einigungsverhandlungen entscheidenden Vertrauensverhältnis mit Bonn. Auf der Terrasse der Villa Hammerschmidt mit ihrem Blick über den Rhein sagte Gorbatschow in liebenswürdiger Übertreibung, der Anblick erinnere ihn fast an die Wolga.
Gorbatschow freute sich herzlich über die engen Beziehungen seines Landes mit der Geschichte der Villa. Vollends kam er ins Schwärmen, als er sich auf der Terrasse durch den herrlichen Blick über den Rhein an eine ihm liebgewordene Wolgalandschaft erinnert fühlte. Dies bedeutet natürlich nicht, daß es bei dem hochpolitischen Besuch vor allem um persönliche Reminiszenzen und Naturverbundenheit gegangen sei. Die geführten Gespräche waren ernst und konzentriert. Gorbatschow bewegte sich auf den Scheitelpunkt seiner Amtsführung zu. Alle Welt war beeindruckt, welche gewaltigen Bewegungen er in seinem Imperium eingeleitet hatte. Bei ihm zu Hause begannen die Zweifel im Hinblick auf die Folgen. Beides wahrzunehmen, richtig einzuschätzen und zu nutzen war für uns von zentraler Bedeutung. In diesem Sinne galt der ganze Besuch der Bildung von Vertrauen. Der warme, spontane, weithin begeisterte Empfang, den ihm die Bevölkerung der Bundesrepublik überall bereitete, bewegte unseren Gast spürbar.
Besonders nachhaltig gelang die Herstellung des Vertrauens in dem langen, intensiven und sehr persönlichen Austausch von Lebenserfahrungen und Gedanken zwischen Gorbatschow und Kohl. Er hat eine Grundlage aufrichtiger gegenseitiger Achtung und Zuneigung geschaffen, auf der die entscheidenden Verhandlungen im Jahre 1990 zum Wohle der Einheit Deutschlands gelingen konnten.
Den Staatsbesuch aus Moskau will ich zum Anlaß nehmen, um zu schildern, wie unschätzbar wertvoll die Mitwirkung meiner Frau an den Aufgaben in der zehnjährigen Amtszeit war, weit über die Führung von Haus und Garten hinaus. Die Frau des Bundespräsidenten -oder später vielleicht einmal der Mann
der Bundespräsidentin - ist in der Verfassung sozusagen gar nicht vorgesehen. Dennoch empfindet sie dieselbe Verpflichtung und trägt sie bereitwillig mit, weniger spektakulär, dafür genauso verantwortungsvoll und zuweilen entsagungsreicher. Sie ist hilfsbereit gegenüber den vielen, die
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