Vier Zeiten - Erinnerungen
Mitterrand und Kohl. Sie betraf die Oder-Neiße-Grenze. Kohl stand mit seiner Position, erst ein von allen gutgeheißenes vereinigtes Deutschland könne sich definitiv dazu äußern, international allein und stieß auch zu Hause auf verbreitetes Unverständnis. Mitterrand griff zu einem ungewöhnlichen Mittel. Er lud den polnischen Präsidenten Jaruzelski und den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mazowiecki nach Paris ein. Zu dritt forderten sie vor der Presse die Bundesregierung und den Bundestag auf, nun endlich verbindliche Erklärungen zur polnischen Westgrenze abzugeben. Der Ton war unfreundlich. Solche gemeinsamen Belehrungen der Franzosen und Polen an die Adresse der Deutschen hätten früher zu prekären Konflikten führen können. Kohl hatte die Grenzfrage international eskalieren lassen, was aus psychologischen außenpolitischen Gründen besser unterblieben wäre. Dennoch war die in Paris laut gewordene Aufregung übertrieben,
denn es bestand letzten Endes keinerlei Absicht in Bonn, an Buchstaben und Geist des Warschauer Vertrages zu rütteln, den die Regierung Brandt abgeschlossen hatte. Und so kam es dann auch nach gründlicher Aussprache zwischen Bonn und Paris zur Beilegung der Krise.
Ohne Zweifel beschritt Mitterrand den Weg zur deutschen Einheit mit Vorsicht und widmete seine Kräfte einem für Frankreich und für ganz Europa verträglichen Ergebnis der Einigung, bis hin zum späteren Maastrichter Vertrag. Dieser eminent historisch gebildete und geprägte Mann hat jedoch keine ernsthaften Versuche unternommen, sich der Einheit zu widersetzen. Sein Bild von der Geschichte hätte es nicht zugelassen. Stets sah er sie als einen Prozeß. Für ihn war sie mehr als das Produkt einzelner Personen, mehr als alle politische Macht und List, deren er sich so meisterlich zu bedienen wußte, mehr als Verdienst oder Schuld der Akteure. Intensiv hatte er sich mit Deutschland beschäftigt. Keiner prägte das französische Deutschlandbild stärker als er. Immer wieder hat er mir vom »Buch der Geschichte« gesprochen. Und so entsprach es seiner Richtschnur, daß er 1990 sagte: »Die Vereinigung Deutschlands ist in der Geschichte eingeschrieben.« Demgemäß hat er mitgewirkt, den Erdrutsch in eine vernünftige Richtung zu lenken.
In diesem Sinne hat Mitterrand sich während seiner letzten Amtstage von den Deutschen verabschiedet, als er am 8. Mai 1995 von den deutschen Soldaten sprach, die er als Kriegsgefangener während des Zweiten Weltkrieges kennengelernt hatte: Sie hätten für eine schlechte Sache gekämpft, aber aus Liebe zum Vaterland. Das wußte er zu unterscheiden und zu würdigen, besser als seine Kritiker in Frankreich.
Bleibt Großbritannien, das an allen Verhandlungen eifrig teilnahm. Die Stärke der Premierministerin Margaret Thatcher zur Durchsetzung innerer Reformen hat ihr überall in der Welt Respekt verschafft. Ihre Distanz zu Europa wurde sprichwörtlich. Daß sie von der Aussicht auf ein vereinigtes und gestärktes
Deutschland wenig entzückt war, durfte niemanden überraschen. Ihr Bild von Deutschland hatte sich mitten im Krieg gebildet und war, solange sie an der Spitze der Regierung war, seit ungefähr 1942 unverändert geblieben. Unter allen mit amtlichen Aufgaben beschäftigten Deutschen interessierte sie sich am meisten für den damaligen Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl. Ihn lud sie auf das liebenswürdigste zu Gesprächen ein, um von ihm etwas über Währungen zu lernen. Uns anderen begegnete sie so, wie ich es bei meinem Staatsbesuch 1988 erlebt habe: Sie lud mich zum privaten Mittagessen ein, zusammen mit Genscher und ihrem damaligen Außenminister Geoffrey Howe. Nach zwei Stunden sagte Geoffrey Howe beim Abschied zu uns Deutschen, er beklage es, daß wir nicht hätten helfen können, die Premierministerin wenigstens einmal zum europäischen Zuhören zu bewegen. Auf den Gang der Vereinigung Deutschlands hatte sie am Ende keinen nennenswerten Einfluß.
Zur Verleihung des Karlspreises der Stadt Aachen 1988 an François Mitterrand und Helmut Kohl hielt ich die Laudatio, deren Reiz in der großen Verschiedenheit der beiden Preisträger lag, die trotz ihrer unterschiedlichen politischen Herkunft und des verschiedenen Temperaments ein Vertrauensverhältnis gefunden hatten. Links von Mitterrand der spanische König Juan Carlos, rechts von Kohl der Aachener Oberbürgermeister Malangré.
Freundschaft mit Tadeusz Mazowiecki in Warschau und Václav Havel in Prag
Zur
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