Vier Zeiten - Erinnerungen
internationalen Akzeptanz der deutschen Vereinigung gehörten neben den Voten der vier Mächte, der Europäischen Gemeinschaft und der Nato die Stimmen der ČSSR und vor allem Polens. An der schon geschilderten Irritation über zurückgehaltene Bonner Erklärungen zur Oder-Neiße-Linie wurde dies ebenso deutlich wie am heftigen Wunsch Warschaus, als Teilnehmer zur Zwei-plus-Vier-Konferenz eingeladen zu werden, wozu es dann aber nur in der Gestalt einer Gastrolle kam.
Unter allen Widerstandsgruppen und friedlichen Revolutionsbewegungen in den Ostblockländern war die polnische Solidarnośćdie bei weitem wirksamste. Sie hatte sich unter der Führung von Lech Wa ałęsa zu einer starken, in der Gesellschaft tief verankerten Opposition entwickelt. Ihre Kraft veränderte nicht nur entscheidend die Verhältnisse in Polen selbst, sondern sie beeinflußte auch die auswärtigen Beziehungen des Landes, zumal im Verhältnis zu uns Deutschen. Kanzler Schmidt hatte sich nach mühsamen Verhandlungen in Helsinki mit dem polnischen Parteichef Gierek über schwierige Streitfragen einigen können. Dadurch hatten sich die amtlichen Beziehungen verbessert, die sich jedoch bald wieder wegen des Kriegsrechts und der scharfen Unterdrückungsmaßnahmen der polnischen Führung gegen die Solidarność-Bewegung verdunkelten.
Es gab nun eine Phase eingefrorener Kontakte der Regierungen. An ihre Stelle trat die um so lebendigere Verbindung unter
den Menschen selbst. Ihr Kontakt und Austausch verdichtete sich auf unvorhergesehene Weise. Kirchliche Gemeinden aus der Bundesrepublik kamen ihren verschwisterten polnischen Partnergemeinden oder auch unbekannten Empfängern in großer Zahl zur Hilfe. Damals konnte man unterwegs in Richtung Osten ungezählten gemieteten Lastwagen voller Versorgungsgüter begegnen, mit deutschen Pfarrern am Lenkrad.
Diese Erfahrung gehört zu den für mich eindrucksvollsten Zeichen für den Willen der deutschen Bevölkerung, wirklich Ernst zu machen und persönlich dort etwas beizutragen, wo es um Wiedergutmachung und Versöhnung gehen sollte. Das war Entspannungspolitik von unten, Friedenspolitik in Menschenhand. Manchmal sind die Völker weiter als die Regierungen.
Gleichzeitig fiel es nicht wenigen deutschen Politikern vor allem aus dem linken Spektrum ziemlich schwer, die Entwicklung in Polen richtig einzuschätzen. Sie bewerteten die Gefahr eines sowjetischen Eingreifens in das aufgewühlte und unter Kriegsrecht stehende Polen als zu hoch und die wachsende Kraft der Solidarność als zu gering. Daher unterhielten sie zu lange ziemlich enge Beziehungen mit den polnischen Machthabern, während sie die Opposition in Polen zeitweise buchstäblich ignorierten. Das hat ihnen viele Vorwürfe eingetragen, die selbst vor dem Namen Willy Brandt nicht haltmachten, dem Inspirator des Warschauer Vertrages.
Als früheres Kuratoriumsmitglied der Robert-Bosch-Stiftung hatte ich nach Kräften an der Belebung des deutsch-polnischen Jugendaustausches mitgewirkt. Auf beiden Seiten gab es dafür eine große Nachfrage. Beim deutschen Polen-Institut in Darmstadt kam es schon 1987 zu einer der im Fernsehen bekannt gewordenen Diskussionsrunden unter der Moderation von Reinhard Appel, einer »Appel-Runde« mit polnischen und deutschen Jugendlichen. Sie verlief in herzerfrischender Offenheit. Warum in deutschen Schulbüchern von Gebieten »unter
polnischer Verwaltung« die Rede sei, obwohl wir doch 1970 Polen in seinen heutigen Grenzen anerkannt hätten, fragten die einen. Wenn aber Anerkennung, was sei dann so fragwürdig, wenn bei einer Städtepartnerschaft mit Wiesbaden die Deutschen von Breslau redeten statt von Wrocław, war eine Rückfrage. Jede Seite sprach über die Untaten des eigenen Volkes, zusammen wehrten sich die jungen Leute dagegen, das Böse und das Gute moralisch aneinander zu messen. Ein vitales wechselseitiges Kulturinteresse kam zum Vorschein. Dafür hatte der Leiter des Polen-Instituts, Karl Dedecius, die besten Voraussetzungen geschaffen. Er, der in seinem Rang als Nachdichter und Übersetzer seinesgleichen sucht, hat uns eine fast vollständige Bibliothek der reichen polnischen Literatur in deutscher Sprache geschaffen, eine wahre Fundgrube. Auch hier hatte die Bosch-Stiftung die Fördermittel bereitgestellt.
Politisch und menschlich war Tadeusz Mazowiecki seit langem mein polnischer Gewährsmann. Unseren ersten Kontakt hatten wir schon gegen Ende der sechziger Jahre. Als Publizist und als Mitbegründer des
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