Vier Zeiten - Erinnerungen
Clubs der Katholischen Intelligenz, später als Sejm-Abgeordneter der katholischen Snak-Gruppe kam er häufig nach Bonn und lehrte uns immer wieder den Kampf seiner Freunde um die Freiheit ebenso verstehen wie die allseitige innerpolnische Solidarität von der Solidarność bis zu den Kommunisten in Fragen der nationalen Interessen, insbesondere der Oder-Neiße-Grenze. Unter dem Kriegsrecht in Polen überstand er die Festnahmen und qualvollen Verhöre mit seinem Mut und seinem Glauben. Als Mitarbeiter der Solidarność-Führung und als Ratgeber des Papstes hatte er sich im Hintergrund gehalten, wuchs dann aber in eine führende politische und geistige Rolle hinein und trug maßgeblich zum gewaltlosen Umbruch bei, bis Solidarnośćim April 1989 wieder legalisiert wurde, am »runden Tisch« freie Wahlen verabredet worden waren und er selbst seit Ende August 1989 der erste frei gewählte nichtkommunistische Regierungschef im Sowjetbereich war.
Am Tage nach seinem Amtsantritt übermittelte er mir die Einladung, eine Woche später nach Warschau zu kommen und dort gemeinsam mit ihm am 1. September des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges vor fünfzig Jahren zu gedenken. Zu unser beider lebhaftem Bedauern kam die Reise nicht zustande. Als Grund wurden noch ungeklärte bilaterale Verhandlungsthemen der Regierungen genannt. Aber die Spatzen pfiffen es von den Bonner Dächern, daß dies leider nur ein Vorwand war; es gab innenpolitische Rücksichten und Eifersüchteleien. Zwischen unseren Ländern war es eine verpaßte Chance. Als dürftiger Ersatz diente ein Austausch persönlicher Botschaften zwischen dem polnischen Präsidenten und mir.
Neun Länder grenzen an Deutschland. Alle hatte ich schon besucht außer Polen, dem zusammen mit Frankreich wichtigsten Nachbarn für uns Deutsche. Erst im Mai 1990 kam es zur offiziellen Reise nach Warschau. Sie stand im Zeichen der Impulse, die von den polnischen Widerstandsgruppen auch für die innere Befreiung in der DDR ausgelöst worden waren. Erste Initiativen für eine trilaterale Zusammenarbeit Polen-Deutschland-Frankreich wurden geprüft. Gemeinsam mit dem polnischen Staatspräsidenten besuchte ich die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Treblinka nördlich von Warschau. Dorthin hatte der polnische Kinderarzt Janusz Korczak die jüdischen Kinder des Waisenhauses begleitet, das er für sie geschaffen hatte. Ihm war in Aussicht gestellt worden, frei zu sein. Aber er lehnte es ab, die Kinder zu verlassen, und ging mit ihnen in den Tod. Er verstand sein Opfer als ein Zeichen, die Verzweiflung über das Grauen zu überwinden.
Wir gingen bei Danzig auf die Westerplatte, wo die deutsche Marine in der Frühe des 1. September 1939 mit den ersten Schüssen auf das Festland den Zweiten Weltkrieg eröffnet hatte. Durch die goldgelben blühenden welligen Rapsfelder des südwestlichen Teiles von Ostpreußen fuhren wir zum Frischen Haff. Auf dem Kirchturm von Frauenburg, den der dortige
Domherr und Astronom Kopernikus durch seine Versuche über das heliozentrische System berühmt gemacht hatte, beschrieb mir der polnische Bischof des Ermlandes mit den bittersten Worten die Strangulierungspolitik der Sowjets, die den Polen den Schiffsweg zum Ausgang des Haffs in die freie Ostsee bei Pillau versperrten. Nur wenige Kilometer von unserem Aussichtspunkt entfernt hatte ich mit meinem Regiment im Frühjahr 1945 die letzten und zugleich die schwersten Kämpfe des Krieges erlebt. In der alten preußischen Kreisstadt Mohrungen besichtigten wir eine Ausstellung zu Ehren von Johann Gottfried Herder, der den prägenden Eigenwert der einzelnen europäischen Völker und Kulturen erforscht und neu belebt hatte.
Beim ersten Staatsbesuch in Polen besuchte ich im Mai 1990 die Stätte der Erinnerung an das Massenvernichtungslager Treblinka nordöstlich von Warschau. Dorthin hatte der polnische Kinderarzt Janusz Korczak die von ihm betreuten jüdischen Waisenkinder freiwillig in den Tod begleitet. In Treblinka begrüßte mich der polnische Präsident Jaruzelski.
Es war herzbewegend auf jeder Station der Reise, voller Erinnerungen an glückliche und schwere Erfahrungen der Vergangenheit
und voller zuversichtlicher Hoffnung auf das gemeinsame Europa.
In seiner persönlichen, bescheidenen, aufrechten Art gab Mazowiecki dem Besuch die menschliche Dimension und Mitte. Er pflegte stets ohne Raffinement und ohne Populismus zu argumentieren. Es war ihm weniger wichtig, mit Druck oder taktischen
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