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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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Verwandlung durch die inzwischen geschaffene Realität auszusetzen. Er schaffte es mit dem ihm besonders eigenen Bewußtsein, nicht souveräner Herr, sondern aufmerksames und verantwortliches Werkzeug in der unaufhaltsamen Geschichte zu sein -gerade er, der doch von allen Beteiligten am meisten selbst in Bewegung gesetzt hatte. In diesem Geist verständigte er sich mit Kohl, dem er vertraute.
     
    Für Gorbatschow war es eine unerhörte Leistung. Denn er mußte ja seiner Bevölkerung erklären, warum er sich schließlich bereit gefunden hatte, die DDR, dieses Juwel im Warschauer Pakt und im COMECON, an ein vereinigtes Deutschland und damit an den herkömmlichen Erzfeind herzugeben, an die Nato - für nichts, wie es seinen Landsleuten erschien, die dabei nur den kontinuierlichen Rückgang der sowjetischen Macht empfanden und es Gorbatschow nicht verziehen.
    Kohl erkannte die Lage mit seinem sicheren Instinkt für die Stimmung unter den Deutschen in der DDR. Aus ihrem elementaren Verlangen nach Freiheit schälte sich die Richtung ihrer Hoffnungen auf Vereinigung in immer schnellerem Tempo heraus. Kohl ermaß die Geschwindigkeit und das Ziel. Im raschen Übergang von der Behutsamkeit zur Beschleunigung ging er ans Werk. Es galt, unverzüglich die notwendigen außenpolitischen Voraussetzungen für die Einheit zu schaffen und die Kraft der ebenso friedlichen wie unwiderstehlichen Revolution dafür einzusetzen, für die der Texaner Baker schon auf das Bild einer durchgegangenen Herde verfallen war. Inmitten von Bedenken und Sorgen rings um Deutschland herum und im Zeichen einer
höchst ungewissen Zukunft der sowjetischen Politik ging es um die Gunst der Stunde. Zusammen mit seinem Außenminister Genscher hat Kohl sie rechtzeitig erkannt und genutzt, mit Energie, mit Umsicht und mit Hilfe des von ihm und Genscher geschaffenen Vertrauens bei den beteiligten Mächten. Der außenpolitische Auftrag der Vereinigung wurde von deutscher Seite bravourös erfüllt.

    Staatsbesuch in den USA 1992 bei George Bush. Rechts vom Podium Barbara Bush und meine Frau Marianne. Im schönen Park vor dem Weißen Haus manifestierten die freiheitsliebenden Amerikaner ihr unnachahmliches Talent für feierliche Zeremonien.
    Der weltpolitisch erfahrene amerikanische Präsident Bush mit seinem Außenminister Baker war für uns Deutsche ein Freund und Helfer von unschätzbarem Wert. Zum einen waren die USA immer schon bereit, das Konzept einer Wiedervereinigung Deutschlands zu unterstützen, vorausgesetzt, daß es dabei friedlich und demokratisch zuging. Zum anderen hatten die Amerikaner als Supermacht keine Sorgen, daß Deutschland mit
seinem durch die Vereinigung vergrößerten Gewicht einen neuen, möglicherweise unberechenbaren Kurs gegen ihre eigenen oder die Interessen der Nato und Europas verfolgen würden. Demgemäß übernahm Washington die Führung, als es darum ging, die Konferenz zustande zu bringen, auf der international über die Vereinigung Beschluß zu fassen war. Für die Teilnahmeberechtigung der Mächte schuf Baker zusammen mit seinem deutschen Kollegen Genscher die Zwei-plus-Vier-Formel, also die zwei deutschen Staaten mit den vier Mächten, und setzte sie mit zäher Energie in Moskau, Paris und London durch. Wichtig für uns Deutsche war, daß es nicht Vier-plus-Zwei heißen würde, also vier entscheidende Stimmen nebst zwei weiteren quasi am Katzentisch. Die Vereinigung durfte in keiner Weise einer Art Viermächtediktat ähneln. Das wäre für uns politisch, demokratisch und moralisch nicht annehmbar gewesen. Bis zum erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen waren es immer wieder Bush und Baker, die zur Überwindung der Widerstände beitrugen und bleibende Verdienste für die außenpolitischen Bedingungen der Vereinigung erwarben.
    Unter den europäischen Partnern kam es vor allem auf Frankreich und die Europäische Gemeinschaft an. Eine herausragende Rolle spielte der Präsident der Europäischen Kommission, der Franzose Jacques Delors. Von Beginn an bekräftigte er die untrennbare Zusammengehörigkeit der deutschen Einheit mit unserer Einbindung in Europa. Er war es, der dafür sorgte, daß die DDR ohne die üblichen Erweiterungsverhandlungen und -verträge bei der deutschen Vereinigung zum Bestandteil der Gemeinschaft wurde. Für uns war dies eine maßgebliche Hilfe, für ihn die entscheidende Bedingung für die Akzeptanz und die Verläßlichkeit des vereinigten Deutschlands auf seinem weiteren europäischen Weg. Delors hat

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