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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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aber nicht der einzige
im Kursus, der sich gegen den unverblümten Führungsanspruch der Wirtschaft wehrte. Unser Streit endete unversöhnlich, Fritz Berg aber hatte offenbar sein Vergnügen an dem offenen Schlagabtausch gehabt. Ein paar Wochen später erhielt ich eine Anfrage von ihm, ob ich in seine Firma eintreten wolle.
    Der Hauptkampfhahn in der Bonner Regierung gegen die Physiker war Franz Josef Strauß. Als früheres Kabinettsmitglied für Atomfragen und mittlerweile als Verteidigungsminister war er in der Sache durchaus zuständig. In nahezu allen militärischen oder friedlichen Verwendungsfragen der Atomenergie war er meinem Bruder wenig gewogen. Die Göttinger wurden nach Bonn in das Palais Schaumburg quasi vorgeladen. Dort stritten dann Adenauer, Strauß, Hallstein, die Generäle Heusinger und Speidel mit den meuternden Physikern. Bei Tisch saß der hochangesehene, auch menschlich von allen geschätzte Erfinder des ganzen Übels, der Uranspalter Otto Hahn neben dem trockenen Walter Hallstein, ihnen gegenüber der streitbare und zugleich zu jedem spitzen Scherz aufgelegte Strauß. Unter dem Gelächter seiner Nachbarn beklagte er sich, daß man sich doch nur deshalb nicht habe einigen können, weil wieder einmal die Berufsberatung versagt habe: Wäre Hahn Staatssekretär im Auswärtigen Amt, dann gäbe es keine juristisch exklusiven, sondern für den normalen Menschen verständliche diplomatische Memoranden. Und wäre Hallstein Naturwissenschaftler geworden, dann wäre die Atombombe nie erfunden worden. So tröstete sich Strauß bei seinem Ärger über die Physiker mit der willkommenen Gelegenheit, sich über Hallstein lustig zu machen.
    Noch eine weitere kuriose Erfahrung machte ich mit der unbekümmerten Selbstverständlichkeit, die der BDI bei politischen Ansprüchen an den Tag legte. Kurz vor der Bundestagswahl 1957 erreichte mich eine Einladung des Hauptgeschäftsführers des Bundesverbandes der Industrie, Gustav Stein. Er forderte mich zu einer Parlamentskandidatur auf und erklärte, er könne mir ein sicheres Mandat als Abgeordneter der FDP im
Bundestag beschaffen. Auf meinen Einwand, ich sei Mitglied der CDU, erwiderte er, das mache gar nichts; da müsse ich einfach nur »auf eine würdige Weise« aus der CDU austreten. Da war er wieder, der verblüffende politische Verfügungsanspruch. Es ist ja nichts Böses, einem Verband nahezustehen und auch von ihm unterstützt zu werden. Aber was wird aus der Unabhängigkeit des Abgeordneten? Unsere Unterhaltung endete ziemlich rasch »auf eine würdige Weise«.

Vom Rhöndorfer Patriarchen zu den Achtundsechzigern
    In dieser überaus erfolgreichen Zeit des wirtschaftlichen Wiederaufbaus hatte Adenauer das politische Steuer fest in der Hand. Bei aller Unternehmerfreundlichkeit legte er großen Wert auf sozialpolitische Ruhe im Land und pflegte deshalb eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Hans Böckler, dem großen alten Mann der nun im DGB fest verankerten Einheitsgewerkschaft.
    Damit verschaffte Adenauer sich einen freien Rücken für die Felder, auf die er seine Kräfte konzentrierte: die Außenpolitik, um der jungen Bundesrepublik Deutschland international einen neuen und gesicherten Platz zu verschaffen, und die Wahlkämpfe, um seinen Kurs vor innenpolitischen Gefahren zu bewahren. Frühzeitig gab es erbitterte Auseinandersetzungen über die Deutschland- und Ostpolitik, etwa über die Seriosität der sogenannten Stalinnoten im Frühjahr 1952 und über die Wiederbewaffnung. Unbeirrbar verfolgte Adenauer seinen Weg. Es gelang diesem zähen und nüchternen, klugen und machtbewußten Mann, seine Zeit auf imponierende Weise zu prägen. Mit der stabilen Verankerung des demokratischen Rechtsstaates nach innen und dem klaren, verläßlichen Westkurs nach außen verhalf er unserem Land zu hohem Ansehen.

    Im Jahre 1957 lernte ich Adenauer persönlich kennen. Er hatte den BDI-Präsidenten Fritz Berg zusammen mit einigen jungen, politisch interessierten Leuten aus der Wirtschaft zu einem Tee in das Palais Schaumburg eingeladen. Als Berg und ich an einem kleinen Tisch rasch wieder in einen kleinen Streit geraten waren, kam der Hausherr dazu und griff zu meinen Gunsten ein. Er genoß es, sein Pulver trocken zu halten, wenn andere ihre Kräfte im Konflikt verpulverten. Er argumentierte scharfsinnig und ironisch, zugleich aber mit paternalistisch entspanntem Humor. Den starken Eindruck überlegener Sicherheit verfehlte er bei keinem von uns.
    Dabei war er natürlich

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