Vier Zeiten - Erinnerungen
noch in ihren Taten zu sehen sei. Es ist gut, wenn es einen erklärten Anspruch gibt, an dem man sich von anderen messen lassen muß. Auch parteiinterne Debatten sind wertvoll, und dies nicht nur in Grundsatzkommissionen, mit denen ich später viel zu tun hatte und wo solche Selbstprüfungen naheliegen, sondern im machtpolitischen Alltag. Das »C« im Namen ist und bleibt ein Stachel im Fleisch; das ist seine wichtigste Legitimation. Zugleich ist es eine Mahnung an das, was Luther mit seinen Worten »sola gratia« beschreibt, an unsere Rechtfertigung nicht durch unsere guten Taten, sondern allein aus Gnade - angesichts unserer Mängel.
Die Zusammensetzung und Motivlage der damaligen Parteimitgliedschaft ist mit der heutigen nur bedingt vergleichbar. Ihre Chance als neu entstandene Volkspartei nutzte die CDU zu jener Zeit mit Erfolg. Sie reichte von zart links bis ziemlich weit rechts.
Die Präambel ihres Ahlener Programms von 1947, an dem Adenauer selbst mitgearbeitet hatte, enthielt den lapidaren Satz: »Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.« In den folgenden Jahrzehnten haben solche hehren Bekenntnisse den Siegeszug des Kapitalismus nicht aufgehalten,
der heute bis über notwendige moralische Grenzlinien hinaus geführt hat. Das Ahlener Programm enthielt die Forderung nach Vergesellschaftung des Bergbaus, der zu jener Zeit in seiner Blüte stand. Heute werden nur noch Verluste sozialisiert.
Zugleich vertrat die CDU schon bei ihrer ersten Regierungsübernahme eine wenn auch soziale, so doch durchaus liberale Wirtschaftspolitik, mit Ludwig Erhard an der Spitze. Von Beginn an fanden auch Konservative ihren Zugang in stattlicher Anzahl. Es gab für sie keine ernstzunehmende politische Alternative.
So war der neue Typus einer bunten und breiten Volkspartei entstanden. Sie wurde nicht nur eine ideale Arena für die großen Parteistrategen der Macht. Vor allem wurde sie hilfreich, ja unentbehrlich für eine feste Verankerung der jungen Demokratie. Indem sie die stets relativ starke rechte Wählerschaft mit den anderen Sektoren der Partei zu einem gemeinsamen Interesse an Wahlerfolgen verband, trug sie entscheidend dazu bei, eine Wiederholung der leidvollen Weimarer Erfahrungen zu vermeiden.
In ihren pluralistischen Reihen vollzogen sich wichtige politische Vorentscheidungen für das Ganze. Wozu sich die CDU durchrang oder was sie verfehlte, war oft ausschlaggebend für den Kurs des Landes. In ihren Reihen bestätigte sich immer von neuem eine alte Erfahrung: Man kann nicht bewahren, was zur Erstarrung neigt. Ein guter Konservativer ist nur, wer zur Erneuerung fähig ist. Ein guter Erneuerer ist, wem es gelingt, sich für die fälligen Veränderungen der Konservativen zu bedienen. Das haben wir von Benjamin Disraeli gelernt. Wer also eine Reform durchsetzen, wer schweren, aber unvermeidlichen Entscheidungen der Bundesrepublik den Weg ebnen wollte, für den war es wichtig, rechtzeitig Einfluß auf die Richtung des langen Geleitzuges CDU zu gewinnen. Darum ging es in der Folgezeit auch mir, vor allem bei meinem zentralen aktiven Interessengebiet, der Deutschland- und Ostpolitik der sechziger und siebziger Jahre.
Zunächst war ich aber nur ein stilles Mitglied, ohne irgendwelche Mandate anzustreben.
Fünfzehn Jahre in der privaten Wirtschaft
Beruflich blieb ich noch weitere fünfzehn Jahre in der Wirtschaft tätig. Nach den wirtschafts- und sozialpolitisch bestimmten Jahren bei Mannesmann übernahm ich temporär die Geschäftsleitung in einem kleineren Privatbankhaus, Waldthausen & Co in Essen und Düsseldorf. Es gehörte zu einem weitverzweigten Verwandtenkreis meiner Frau. Mir fiel die Aufgabe zu, dort eine Zeitspanne von vier Jahren auszufüllen, bis ein Namensträger der Familie herangewachsen war, um die Verantwortung zu übernehmen. Während dieser Zeit wurde ich mit den Aufgaben eines selbständigen Unternehmers vertraut. Erfolg und Mißerfolg hingen weitgehend von mir selbst ab. Bei harter Arbeit war es eine höchst lehrreiche Zeit.
Meine dritte und letzte Station in der Wirtschaft führte mich nach Ingelheim am Rhein in das pharmazeutische Unternehmen C.H. Boehringer Sohn. Der dortige Seniorchef Ernst Boehringer hatte mich angezogen. Er war ein kraftvoller, aufrichtiger und großgesinnter Mann. Vierzig Jahre lang leitete er die Familiengesellschaft und führte sie hinauf bis in die Spitzengruppe der deutschen
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