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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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Pharmaindustrie. Mit Nachdruck sorgte er dafür, daß das ständig wachsende Familienvermögen nicht als privat verfügbares Kapital behandelt wurde, sondern als ein dem betrieblichen und kommunalen Gemeinwesen gewidmetes Wirtschaftsgut, so wie es Robert Bosch und Ernst Abbe in ihren Unternehmen auch schon gemacht hatten. Mit Leidenschaft betrieb Ernst Boehringer die Erforschung neuer Arzneimittel, die wirklich heilen und lindern konnten. Je älter er wurde, desto stärker empfand er aber auch die moralische Verantwortung, wenn
Dritte ein Firmenprodukt in gefährlicher Weise für Mensch und Natur mißbrauchten, ohne daß er es vorhergesehen hatte.
    Ich bin keinem zweiten Unternehmer wie ihm begegnet, der so außergewöhnlich erfolgreich war, den die ganze Firmenbelegschaft so sehr als ihren Freund empfand und der sich zugleich eher scheu im Hintergrund hielt, wenn es um öffentliche Geltung und Rampenlicht ging. Von denen, die man dort antreffen konnte, hielt er sich fern. Eines Tages erschien bei ihm Ernst Jünger zu Besuch, nicht um als Poet gefeiert zu werden, sondern weil sie sich aus dem Ersten Weltkrieg kannten, beide damals mit dem höchsten Tapferkeitsorden ausgezeichnet. Als Ernst Jünger sagte, er sei auf dem Wege zum rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten, und nach dessen Namen fragte, antwortete Ernst Boehringer: »Bei uns weiß man nicht, wie Ministerpräsidenten heißen.«
    Solche bescheidene Zurückhaltung war nicht das Hauptmerkmal der Unternehmerschaft in Deutschland, aber es gab damals auch wenig Grund dafür. Während der ersten zwanzig Nachkriegsjahre beruhte der Erfolg der Bundesrepublik auf ihrer Wirtschaft. Mit der tatkräftigen politischen Unterstützung durch Ludwig Erhard und dank der Initialzündung durch den Marshallplan hatte sie für unser Land den weltweiten Ruf des deutschen Wirtschaftswunders geschaffen. Demgemäß setzten sich viele ihrer führenden Vertreter in Szene und beanspruchten ohne jede Schüchternheit politischen Einfluß. Zwei Beispiele aus eigenen Erlebnissen will ich dafür nennen.
    Einmal hatte mich mein Arbeitgeber Mannesmann zu einem sogenannten Unternehmergespräch für drei Wochen nach Baden-Baden geschickt. Dort waren wir ungefähr zwanzig Kursteilnehmer, die in einem höchst anspruchsvollen Rahmen als Führungsnachwuchs ausgebildet werden sollten. Träger der Veranstaltung war der Bundesverband der Industrie. Lauter Spitzenkräfte der Wirtschaft referierten und diskutierten mit uns nicht nur über Forschung und Produktion, Werbung und Verkauf,
Bilanzen und Personalführung, sondern auch über Gesellschaft und Politik.
    Zum krönenden Abschluß erschien Fritz Berg, der Präsident des BDI. Ohne Umschweife brachte er uns seine Überzeugung vom Führungsanspruch der Wirtschaft in der Gesellschaft nahe. In der Diskussion über seinen Vortrag kam es zu einer Revolte. Aus dem Kreis der Kursteilnehmer hatte ich sie angeführt, weil ich persönlich tangiert war. Denn Fritz Berg hatte ins Zentrum seiner Ausführungen die sogenannte Göttinger Erklärung gestellt, mit der achtzehn deutsche Physiker jegliche Beteiligung an der Forschung und Herstellung, Stationierung oder Mitverfügung im Bereich atomarer Waffen strikt abgelehnt hatten. Unter den achtzehn befanden sich die bekanntesten Nuklearwissenschaftler mit Otto Hahn, Max von Laue und Werner Heisenberg an der Spitze. Die Erklärung erzeugte ein gewaltiges Aufsehen, scharfe Kritik im Bonner Regierungslager und eine hin und her wogende Pressekampagne. Mein Bruder Carl Friedrich, der die Erklärung entworfen und mit unterzeichnet hatte, brachte es dabei sogar zum Coverboy der Titelgeschichte im SPIEGEL.
    Fritz Berg nahm an der Erklärung den heftigsten Anstoß. Die Industrie verbäte sich kategorisch solche illegitimen Interventionen überheblicher Intellektueller, die auf verantwortungslose Weise der Wirtschaft und damit dem ganzen Lande Schaden zufügten. Auch hier habe die Wirtschaft eine Führungsaufgabe. Ich widersprach. Es handele sich um fundamentale politische Entscheidungen, für die die Stimmen der Forscher mit ihrer wissenschaftlich-ethischen Verantwortung kein geringeres Gewicht hätten als wirtschaftliche Interessen.
    Unser Gesprächsleiter, überdies ein Schwager von Ludwig Erhard, bat mich in der Pause höchst besorgt um Zurückhaltung. Wir sollten doch den BDI-Ast nicht absägen, auf dem der ganze Kursus säße. Es wäre besser, etwas vom Präsidenten Berg zu lernen, als ihm zu widersprechen. Ich war

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