Vier Zeiten - Erinnerungen
gedacht als getan, damals wie heute. Wir hielten Ausschau nach politischer Unterstützung.
Unterstützung woher? Mit welcher eigenen aktiven Mitwirkung? Die Frage nach Mitgliedschaft in einer Partei rückte für mich näher.
Bis dahin war mein Verhältnis zu politischen Parteien recht unbefangen gewesen. Ihre Unentbehrlichkeit unterlag keinem Zweifel. Zugleich war es ziemlich selbstverständlich, daß keine von ihnen einem Idealbild entsprechen konnte. Ich habe es stets geachtet, daß manche Mitglieder ihre Parteien als eine Art Heimat empfanden, zumal wenn sie in schweren Zeiten dort zusammen aufgewachsen waren. Mir selbst genügte für das Gefühl, politisch zu Hause zu sein, die Lebendigkeit unserer demokratischen Verfassung.
Freilich war ich kein freischaffender Künstler oder Wissenschaftler. Durch Tätigkeit und Interessen war ich in unsere gesellschaftspolitische Entwicklung eingebunden. Ihre Richtung war mir wichtig. Da wurde es allmählich ein Problem, Distanz zu den für diesen Kurs wichtigsten politischen Zentren zu wahren, zu den politischen Parteien.
James Reston, der legendäre Chefredakteur der New York Times, hat einmal den Spruch geprägt: »In politics as in love there comes the moment where you have to kiss the girl.« Das ist natürlich zuviel Ehre und Liebe für den prosaischen Antrag einer Parteimitgliedschaft. Aber immer nur vorsichtig abwarten ist nicht genug. Man muß sich entscheiden.
Aber wie? Bei der ersten politischen Stimmabgabe in meinem Leben bald nach dem Krieg in Göttingen hatte ich für den religiösen Sozialisten Adolf Grimme votiert, weil ich ihn kannte und ihm vertraute. Ich hatte Respekt vor der Geschichte und Gegenwart der SPD. Doch als Genosse wäre ich mir fremd vorgekommen.
Die Liberalen hatten im neunzehnten Jahrhundert die allgemeine Bürgerdemokratie erkämpft. Sie haben uns alle zu Liberalen im Sinne von Demokraten gemacht. Sie verkünden keine weltliche Heilsbotschaft. Das ist gut. Also die FDP? Ihre wirtschaftliche Vernunft leuchtete mir im Prinzip ein. Aber ich suchte einen breiteren gesellschaftspolitischen Ansatz, keine Klientelpartei.
Am meisten überzeugten mich die Gründungsmotive der Unionsparteien, vor allem das, wofür ihr »U« stand: Aus den gemeinsamen Erfahrungen der Nazijahre die Lehren zu ziehen, den alten konfessionellen Gegensätzen keinen politischen Raum mehr zu geben, sich von den Soziallehren inspirieren zu lassen, Sozialpartnerschaft anzustreben, eine wirkliche Volkspartei anzusteuern - ein solcher Unionsgedanke wirkte anziehend auf mich.
Was mir Schwierigkeiten bereitete, war dagegen das »C« im Namen. Macht es nicht die Lücke allzu spürbar, die in unserer Politik zwischen Ankündigung und Verwirklichung klafft, zwischen Wort und Tat? Wer darf aus christlichem Glauben ein bestimmtes Parteiprogramm ableiten? Wer könnte das überhaupt? Christus selbst verkündet kein politisches Programm. Er sagt nicht: Das ist die Wahrheit. Vielmehr sagt er: Ich bin die Wahrheit. Er bekennt sich zu keinem abstrakten Gesetz, sondern zu einem konkreten Verhalten, zu handelnder Liebe.
Wenn es uns Menschen gelänge zu handeln, wie es die Bergpredigt vorgibt, dann wären die Probleme der Welt auch politisch lösbar. Vielleicht wären sie nur so lösbar. Frieden zu halten, niemanden Not leiden und hungern zu lassen, Gerechtigkeit zu üben, die Freiheit des anderen zu wollen -wie oft scheitern wir daran! Als Anspruch an uns selbst darf das »C« nie verstummen. Aber damit politisch werben? Es zur Unterscheidung gegen demokratische Konkurrenten ins Feld führen, wo es doch Gläubige und Ungläubige in allen Gruppierungen gibt? Und wo Gläubige nicht automatisch die humanen und demokratischen Vorbilder sind?
Natürlich war ich bei weitem nicht der erste, der auf solche Bedenken stieß, und dem es stets leichter fiel, die Fragen zu stellen, als sie zu beantworten. Für mich wurde die Entscheidung über eine Mitgliedschaft 1954 akut. Es wäre gänzlich weltfremd gewesen, nach einer neuen Debatte über den Namen der CDU Ausschau zu halten. Ihr »C« war mittlerweile ein fester Namensbestandteil geworden, von manchen mißbraucht, für viele ein Ansporn, für andere ein Ärgernis. Mein Empfinden war, daß ihm vor allem eines nicht widerfahren dürfe: Gleichgültigkeit, bei Freunden sowenig wie bei Gegnern. So entschloß ich mich zum Eintritt. Ich habe es immer als nützlich angesehen, wenn politische Widersacher die CDU danach fragten, wo denn ihr Parteiname
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