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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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eines Konservativen. In der großen Koalition spielte er eine durchaus bestimmende, mitunter führende Rolle.
    Nun befaßte sich die FDP mit der Frage. Daran war ich natürlich nicht beteiligt. Es wurde aber bekannt, daß man in der dortigen Führung mindestens zeitweise meiner Kandidatur deutlich den Vorzug vor der Schröders gab. Der Fraktionsvorsitzende der FPD im Bundestag, Knut von Kühlmann-Stumm, teilte mir dies schriftlich mit und bat mich, die Kandidatur zu akzeptieren. Josef Ertl und einige andere taten dasselbe mündlich. Selbst Scheel, dessen Interessen auf der linken Seite lagen und der vor allem ein Auseinanderfallen seiner Delegierten auf der Bundesversammlung verhindern wollte, weil es erneut als liberales Schwächezeichen verstanden werden könnte, gab Kiesinger gegenüber zu erkennen, daß es bei meiner Kandidatur praktisch unmöglich sein werde, seine Freunde gemeinsam auf Heinemann einzuschwören.
    Für mich wurde die Lage schwierig. Gerade war ich dabei, mich langsam auf eine Bundestagskandidatur für den Herbst 1969 vorzubereiten, mich nun also erstmals ernsthaft und öffentlich parteipolitisch einzuordnen. Denn meine Präsidentschaft im Kirchentag, die ich 1965 als Hindernis für eine Bundestagskandidatur angesehen hatte, sollte bis dahin zu Ende gehen. Und schon befand ich mich mitten im Strudel der verschiedenen Interessen und Hintergedanken der großen professionellen Matadore, für die die Wahl eines neuen Bundespräsidenten ein besonders geeignetes Manövrierfeld wurde. Ohne Zweifel waren die Vorstellungen von Heck und Kohl völlig ernsthaft. Und daß Kiesinger, den ich damals persönlich wenig kannte, ein vitales Interesse am Verhalten der FDP hatte, war verständlich und legitim.
Es ging ihm nicht nur um seine allseits bekannte Abneigung gegen Schröder, sondern vor allem um die Signale für die nächste Regierungsmehrheit.
    Nachdem ich noch einmal selbst mit Heinemann gesprochen hatte - wir beide stehend in einem überfüllten Nahverkehrszug von Bonn nach Essen -, teilte ich Heck meine Bereitschaft mit, mich einer innerparteilichen Entscheidung über die Kandidatur zu stellen.
    Was dann folgte, war alles durchaus normal. Ad hoc wurde ein Wahlgremium einberufen, dem die Parteivorstände der CDU und der CSU sowie ihr gemeinsamer Fraktionsvorstand aus dem Bundestag angehörten. Am 15. November 1968 sollten sie die Entscheidung zwischen Schröder und mir treffen. Neben dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger machte vor allem Franz-Josef Strauß zugunsten von Schröder mobil. Heck und Kiesinger hielten dagegen. Noch Jahre später warf sich Kiesinger vor, aus seinem Vorschlag zugunsten meiner Kandidatur nicht zugleich die Vertrauensfrage für seinen eigenen Parteivorsitz gemacht zu haben.
    Kurz vor der Wahl war zu erkennen, daß es eine deutliche Mehrheit für Schröder geben würde. Noch ein paar Stunden vor der Entscheidung riet mir Kohl, angesichts dieser Wetterlage doch lieber jetzt schon auf eine Kampfabstimmung zu verzichten. Zu einer solchen Wetterfahnenorientierung war ich nun allerdings gar nicht bereit. Eine Alternative zu haben und über sie zu entscheiden war nach meiner Überzeugung die bessere Werbung für das Wahlgremium als eine bloße vorher verhandelte Akklamation.
    Der Wahlvorgang selbst war kurz, klar und schmerzlos: fünfundsechzig Stimmen für Schröder, zwanzig Stimmen für mich. Scheel war erleichtert. Es gelang ihm mit großer Energie, die Stimmen seiner Freunde fast geschlossen für Heinemann zu gewinnen. Im dritten Wahlgang siegte Heinemann mit dem äußerst knappen Ergebnis von fünfhundertzwölf gegen Schröder
mit fünfhundertsechs Stimmen. Die SPD und vor allem Brandt feierten Scheel als den Urheber dessen, was Heinemann drei Tage nach seiner Wahl selbst mit der später zutreffenden, damals freilich beinahe allseits kritisierten Vokabel »Machtwechsel« charakterisierte. Er hatte natürlich nicht von der Macht seines Amtes gesprochen; aber er hätte gewiß über die Auswirkungen auf die nächsten Koalitionsverhandlungen auch schweigen können.
    Für mich war die Niederlage gegen Schröder in gar keiner Weise ein Unglück. Ohne Zweifel hätte ihm seine Erfahrung die Übernahme des Amtes sehr viel leichter gemacht als mir. In Wahrheit war es ein großes Glück für mich, nun zunächst harte politische Lehrjahre zu durchlaufen. Auch war ich für das Amt zu jung. Und eine politische Laufbahn mit dem Verlust einer Wahl zu beginnen, das war schon

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